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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Gerstenberg, Kurt: Der Künstler und diese Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0129

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Der Künstler und diese Zeit.

EGON SCHIELE WIEN.

GEMÄLDE »ALTE HAUSER«

gesenkt zornmütig langsam zurückging, indes
doch alle deutschen Gewehre schwiegen. Oder
jene erhabene Mutter eines abgestürzten Flie-
gers, deren Seelengröße sich über den Schmerz
erhob, daß sie keine Trauerkleider tragen
wollte, sondern nur stolz sein mit ganz Deutsch-
land über solchen Sohn. All dieser Same wird
nicht in den Wind gesät sein.

Uns aber beherrschen heute nicht mehr die
gewaltsamen Affekte, die nur immer jäh und vul-
kangleich in einem Menschen, in einem Volk
ausbrechen. Wir harren in festen seelischen Zu-
ständen, über die Wille und Pflichtbewußtsein
gebieten, wenn auch immer wieder Stimmungen
uns umfluten und umebben. Uns bewegt mehr
die frohe Zuversicht als daß uns die kurzlebige
Begeisterung hinreißt, mehr der Unmut als der
rasche Zorn, mehr die kummervolle Trauer als
der wilde Schmerz. Nicht eine Geberde be-
herrscht unsere Zeit, es sind ihrer tausendI
Das aber ist das Gemeinsame all dieser Affekte,
all dieser Stimmungen, daß ihre Glut und In-
brunst überall einen höchsten Siedepunkt er-

reicht hat. Und unsere Zeit ist soweit anti-
schillerisch, daß ihr nicht mehr die höchsten
Grade der Allgemeingefühle als verwerflich und
unbildnerisch gelten, sondern daß sie nur eigent-
lich in ihnen sich rein aussprechen kann. Das
sind die Stoffe, an denen die künstlerische
Tätigkeit, die künstlerische Erkenntnisarbeit ein-
setzen kann und muß. Diese Stoffe verlangen
über das Maß des Natürlichen hinaus gestei-
gerten Ausdruck, denn die Gesetze der Kunst
sind nicht die Gesetze der Naturwahrheit. Wenn
doch nur immer den Künstler seine Instinkte
so sicher führten, daß sein Werk mit tausend
Stimmen predigte: alle die Abweichungen vom
lebendigen Vorgang sind durch das Gefühl und
seine kraftvolle Äußerung hervorgerufen wor-
den. Dann sind sie berechtigt, — daß ich mich
nicht im Wort vergreife, — dann häufen sie
lauteres Gold in die Schatzkammern der Kunst.
Daß dieses höchste Ziel nur mit der denkbar
größten Einfachheit in Form und Farbe gestal-
tet werden kann, ist eine Erkenntnis, die uns
aus der Betrachtung des Bildbegriffs der großen
 
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