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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Heckel, Karl: Harmonie und Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0138

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Harmonie und Stil.

PROFESSOR ERNST LICHTBLAU — WIEN.

»BIBLIOTHEKS-ZIMMER« FENSTERSEITE.

sucht, sondern den bezeichnenden Ausdruck
unseres eigenen Strebens. Und daß er sich nicht
der Einsicht verschließt, daß für uns die Kunst
nicht das Abbild eines kulturellen Seins, son-
dern nur der Ausdruck eines kulturellen Wer-
dens zu bedeuten vermag, also nicht den
Widerschein einer vollendeten Harmonie. Be-
deutet der Verzicht auf die nachahmende Vor-
spiegelung einer solchen, auf die Harmonie
überhaupt verzichten? Mit nichten. Sonst
müßten wir auch gegenüber dem Barock den
gleichen Vorwurf als berechtigt anerkennen.

Für die italienische Renaissance bildete
die vollkommene Proportion den Zentralbegriff.
„Wie in der Figur, so hat diese Zeit im Bau-
werk versucht, das Bild der in sich ruhenden
Vollkommenheit zu gewinnen", belehrt uns
Wölfflin. Trotzdem das Barock, sich des
selben Formensystems wie die Renaissance be-
dient, gibt es nicht mehr das Vollkommene und
Vollendete, sondern das Bewegte und Wer-
dende, nicht das Begrenzte und Faßbare, son-
dern das Unbegrenzte und Kolossale.

Da für unsere Zeit kaum das Streben nach
dem Kolossalen fortbesteht, so geht es freilich
ebensowenig an, uns unfrei in den Fußstapfen
des Barock zu bewegen. Aber die Analogie
bleibt erhalten. — Gewiß besteht auch heute
noch für die Kunst die Aufgabe, „die Erde zum
Paradiese umzuwandeln", wie Hildebrand so
treffend von der Antike und der Zeit der Päpste
sagt. Für eine Kunst, die auf die Treue der
Lebenserscheinung verzichtet, mag auch heute
noch die Forderung der Harmonie den Aus-
schlag geben. Aber für die Kunst, die darauf
ausgeht, ein getreues Abbild des Lebens des
Einzelnen oder seines Volkes darzubieten, kann
nicht die Vortäuschung einer vollendeten Har-
monie im Vordergrund stehen, sondern ihr Be-
streben kann nur darauf gerichtet sein, eine
einheitliche Wirkung durch die Treue des Stiles
zu gewinnen. Jenes Stiles, der dem Wesen
des Werkes entspringt, gleichviel ob sich der
Künstler hierbei überlieferter historischer For-
men bedient oder aus der Idee seiner Aufgabe
neue Ausdrucksformen erzeugt...........
 
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