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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Jaumann, Anton: Suggestive Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0225

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hedwig beyer-essen. schaufenster »spitzen-deckchen«

SUGGESTIVE FORM.

Der Weg zieht den Blick in die Ferne, und
mit dem Blick den Geist, mit dem Geist
die wandernden Schritte. Wohlig fällt der Kör-
per in den Klubsessel, dessen rundliche Schwel-
lungen Weichheit atmen. Das Glatte lockt zu
streicheln, der eckige Stein fordert zum Anstoß
heraus. — Jede Form suggeriert uns eine Be-
wegung, ein Verhalten, eine Stimmung.

Wenn in einem Bilde die beherrschende Linie
eckig, dornig, in sich widerspruchsvoll ist, wird
das Bild niemals Ruhe, Stille, Resignation aus-
drücken können, auch wenn im übrigen alle
Farbe grau, trübe, herbstlich ist. Andrerseits
unterstützt die suggestive Form die Auffassung
von Gehalt, Absicht, Stimmung eines jeden
Kunstwerks im höchsten Grade.

Für den Künstler, der ja doch betören, be-
zaubern, packen will, ist die Form der Zauber-
stab. Doch blieb dies Geheimnis nicht den
Künstlern vorbehalten. Wer immer im Leben
Eindruck machen, andere beeinflussen oder
lenken will, wird sich keineswegs auf den be-
rühmten faszinierenden Blick verlassen dürfen.

Geste, Bewegung, Tonfall, ja auch der formale
Bau der Rede tragen das meiste zur Verstän-
digung, zur „Stimmungmache", zur Lenkung
der Zuhörer bei. Namentlich im Unterricht läßt
sich die Beobachtung machen, nicht der wissen-
schaftlichste oder gescheiteste oder eifrigste
Lehrer vermag am raschesten und lichtvollsten
zu erklären, zu unterrichten. Nicht das Wort
oder der Inhalt des Vortrags schafft Verständ-
nis, sondern in viel höherem Grade die Sug-
gestion. Durch die formale Führung der Ge-
danken und Vorstellungen ordnen sich im Geist
des Schülers die Begriffe, wachsen und ver-
binden sich in der vom Lehrer gewünschten
Weise, eine bezeichnende Geste leistet da oft
mehr als ein viertelstündiger Vortrag — alle
Erkenntnis ist ja letzten Endes doch nur ein
Vorgang im Unbewußten, und in der Sphäre
des Unbewußten wirkt die Form unvergleich-
lich stärker als das Wort.

Auch in der Kunst keimen Eindruck, Stim-
mung, Erschütterung und Erhebung nur im
fruchtbaren Dunkel des Unterbewußtseins, a.j.
 
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