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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Utitz, Emil: Kunstgewerbliche Graphik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0268

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Kunstgewerbliche Graphik.

rade wegen dieser Ei-
genschaften rühren zu
einem halb schmerzvol-
len und halb mitleidigen
Lächeln. Aber all diese
Gründe würden noch
nicht die außerordent-
liche Beliebtheit der al-
ten Stiche erklären, kä-
me nicht ihr gegenständ-
licher Reiz hinzu; man
findet die „schönsten"
Landschaften gestochen,
Leben und Treiben der
Heimat, ihre Gassen und
ihre Bauten; die bedeu-
tendsten Männer; die
wichtigen Szenen aus
den hervorragenden Er-
zeugnissen der Litera-
tur; Kopien der berühm-
testen Werke in Malerei
und Plastik. Den man-
nigfachsten inhaltlichen
Interessen geschiehthier
Genüge. Und das ist
ein Vorteil, der nicht
hoch genug eingeschätzt
werden kann. Gerade
weil der Stich so oft
gar nicht frei schöpfe-
rische Kunst sein will,
sondern als „Kunstge-
werbe" sich den ver-
schiedensten Aufgaben
anschmiegt, gewinnt er
die fruchtbare Weite,
den praktischen Bedürf-
nissen des Lebens ge-
recht zu werden. Und

daß er seine Kunden gut bedient, darauf ruht
seine künstlerische Rechtfertigung. Vor mir
liegt eben — um ein ganz bescheidenes Beispiel
anzuführen — das Bauern ABC von Franz
Pocci, erschienen im katholischen Bücherverlag
zu München im Jahre 1857. Poccis Initialen
sprühen nur von reizvollen Einfällen, von
schalkhafter Anmut und treuherziger Güte; es
sind kleine Köstlichkeiten, die erfreuen und er-
götzen und dabei den schlichten Text vertiefen,
ihm ein anschauliches Gesicht verleihend und
seiner Art trefflich entsprechend. Dabei handelt
es sich um eine einfache, sehr wohlfeile Schrift
für Bauern. Nichts wird ihnen zugemutet, was
ihre Fassungskraft überschreitet, aber das Ge-
botene sinkt darum nicht zu trivialem oder or-
dinärem Kitsch herab. Es ist wahrhaft Kunst

PAUL SCHEURICH—BERLIN. KLEINPLASTIK >APOLLOc

im Leben und Kunst für
das Leben. Das ist le-
diglich möglich, weil
diese Kunst im vorhinein
mit einem bestimmten
Lebenskreis rechnet. —
Bedenken wir all das
Gesagte, so verstehen
wir auch, warum das
Publikum — und zwar
nicht das schlechteste
— in so vielen Fällen
den alten Stich der mo-
dernen graphischen Ar-
beit vorzieht. Da dürfen
wir doch fragen, wie es
die moderne Graphik
anstellen kann, den Platz
zu erringen, den der alte
Stich einnahm und heute
wieder einnimmt. Im
allgemeinen ist die Gra-
phik zu „exklusiv". Sie
wendet sich unmittelbar
an den Sammler, der
ihre edlen Gaben sorg-
fältig in Mappen reiht,
oder der einige erlesene
Blätter zum Schmuck
der Wände verwendet.
Es wäre heller Wahn-
sinn, der Graphik die-
se stolze Aufgabe, frei

schöpferische, reine
Kunst zu sein, entziehen
zu wollen, oder ernst-
lich etwas dagegen ein-
zuwenden. Wir stehen
hier vor einer eigenge-
setzlichen Kunstart, de-
ren Rechtsgrund ebenso fraglos erscheint wie
der jeder anderen. Aber neben diesen höchsten
Zielen kann die Graphik auch bescheidenere
anstreben, kunstgewerbliche, falls dieser Aus-
druck gestattet ist. Und es wäre blinder, sträf-
licher Hochmut, wenn sie sich zu gut dafür
hielte oder wähnte, nur die schlechteren, minder-
wertigeren Künstler wären dazu berufen. Eine
der Ursachen des schier unübersehbaren Künst-
lerproletariats ist es, daß die jungen Leute meist
die ausschweifendsten Hoffnungen nähren, den
kühnsten Träumen nachhängen, statt zunächst
einmal ihre oft nicht allzustarken Begabungen
in den engeren Kreis kunstgewerblicher Arbeit
einzustellen, um dann weiter zu fliegen, wenn
die Schwingen den Flug gestatten. Wir ge-
wännen auf diese Weise vielleicht anstatt so
 
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