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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 42.1918

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Christophe, F.: Das Erfordernis der richtigen Einstellbarkeit für die Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7199#0030

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Richtige Einstellbarkeit für die Runstbetrachlung.

DAS ERFORDER-
NIS DER RICH-
TIGEN EINSTELL-
BARKEIT FÜR DIE
KUNSTBETRACH-
TUNG. Der Künstler
müht sich unablässig
um die Vervollkomm-
nung seiner Fähigkei-
ten und Leistungen und
neigt fast stets zu der
Selbsttäuschung, der
Laie folge ihm auf sei-
nen Wegen mit Ver-
ständnis, Anerkennung
und Freude über jede
Entwickelungs - Phase
und glaubt so, seinen
Mitmenschen das an
wertvollen u. dauern-
den Freuden ja recht
arme Dasein durch an-
regende und erheben-
de Einwirkungen zu
bereichern und für die
Erfüllung dieser hohen
moralischen Betätig-
ung Anspruch auf all-
gemeine Beliebtheit
und besondere Wert-
schätzung zu haben. —
Wir schreiben uns die
Gabe zu, bei günstigen
Entfaltungs - Möglich-
keiten unserer Anla-
gen, in begnadeten

Schöpferstunden unseren Werken die Fähig-
keit einzupflanzen, auf jeden einigermaßen
empfänglichen Beschauer die Empfindungen
und Gedanken auszustrahlen, die uns beim
Entstehen bewegt haben.

Mit der Empfänglichkeit ist es aber grade
sehr schlimm bestellt. Es verhält sich damit
wie bei einem Markonitelegraphisten, der der
Umwelt bemerkenswerte Dinge mitzuteilen
glaubt und schließlich merkt, daß in der erreich-
baren Grenze keine Aufnahmestation besteht.

Wir setzen in der Erwartung der Wirksamkeit
unsres Thuns eben viel zu viel als vorhanden
voraus. — Wir denken immer, das Publikum
müsse doch mittlerweile durch die vielen Vor-
träge und durch die Aufsätze in Kunstzeit-
schriften und Tageszeitungen hinreichend orien-
tiert sein und zur Genüge erfahren haben, auf
was wir mit unseren Arbeiten eigentlich abzielen
und worauf es in der Kunst überhaupt ankommt.
— Ich muß aufrichtig bekennen, ich neige nach

P. SCHEURICH. ILLUSTRATION AUS »DER GOLDENE ESEL«

den Erfahrungen mei-
ner 22 jährigen Tätig-
keit zu der Befürch-
tung, die gedachten
Auf klärungs - Bestreb-
ungen haben eher Ver-
wirrung als Klarheit
hervorgerufen u. zwar
aus dem Grunde, weil
die wenigsten Kunst-
schriftsteller objektiv
die Existenz und An-
schauungsart der ein-
zelnenKunstgattungen
b erichtet en und erklär-
ten. — Wer z. B. über
Impressionismus orien-
tieren zumüssenglaub-
te, der tat Unrecht da-
ran, wenn er jeder an-
deren Richtung die ge-
rechte Würdigung ver-
sagte, jeder anderen
Auffassung die Berech-
tigung absprach oder
sie überhaupt grund-
sätzlich ignorierte. Lei-
der wirkte jeder nur
für seine Richtung und
suchte häufig durch
Verunglimpfung der
anderen, Anhänger zu
gewinnen, und zwar
kam es den meisten
dabei nachweislich und
zugestandenermaßen
weniger auf die Sache an, als auf Anlässe zur
Anwendung literarisch klingender Wortgebilde.

Dazu tritt noch ein neuer Übelstand. Der
Laie neigt viefach in überheblicher Eitelkeit zu
der unbegründeten Annahme, einer Belehrung
über Kunstdinge nicht zu bedürfen, und so
liest er nur selten erklärende Aufsätze.

Wer in ein Konzert geht, weiß, daß er sich
bis zur Übelkeit langweilt, wenn er nicht be-
stimmte, besondere musikalische Vorausset-
zungen in sich trägt oder eine gewisse Vorbildung
mitbringt. Aberin einerKunstausstellung glauben
die Leute durch Entrichtung des Eintrittsgeldes
nicht nur die Berechtigung zur Betrachtung der
Bilder, sondern den Anspruch auf mühelose
Unterhaltung erworben zu haben. Sie sind da-
her äußerst enttäuscht und entrüstet, wenn die
Bilder unwirksam auf sie bleiben und merken
garnicht, daß das Unbefriedigtsein am Fehlen
ihrer eigenen Aufnahmefähigkeit liegt. —
— „Dein Sinn ist zu, Dein Herz ist tot", kann
 
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