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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Jaumann, A.: [Die Zeit ist vorbei...]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0152

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Die Zeit ist vorbei, da alle Malerei im Grunde
nichts war, als ein hohes Lied auf die
Schönheit der Natur. — In sklavischer Erniedrig-
ung lag der Künstler zu Füßen der Natur und
bat die hohe Frau nur um die eine Gunst, jeden
ihrer Reize endlos singen und schildern zu
dürfen. Sehen war Gnade, Malen war ein Dank-
opfer, ein Aufgehen der Persönlichkeit in der
Abspiegelung der Natur. Dann kam der Impres-
sionismus, die nervöse Auffassung des Natur-
eindrucks und die nervöse Wiedergabe. Die
Flüchtigkeit der Auffassung und der Technik war
zugleich eine Methode der Vereinfachung, des
Weglassens, Übersehens, Zusammenziehens.

In der nächsten Stufe der Naturüberwindung
wurde dieses Moment gesteigert, unterstrichen,
zum stilistischen Prinzip erhoben. Keineswegs
konnte das Auge so einfach sehen, wie der
Pinsel malte. Der Geist war es, der zusammen-
zog« große Flächen konstruierte, der eine ein-
fache Natur darstellte, wo er eine verwirrende
Vielfältigkeit vorgefunden hatte. — Von da zum
Primitiven ist wieder nur ein Schritt. Die Ein-
fachheit liegt hier in der Denk- und Auffassungs-
weise. Der Reichtum der Anschauung, die ner-
vöse Feinfühligkeit der Auffassung, selbst die
Größe werden aufgegeben, nur um die Eigen-
mächtigkeit des Menschen gegenüber der Natur
noch zu steigern. Der Primitivismus ist bereits
ein direkter Gegensatz zum Naturalismus.

Die Befreiung geht aber noch weiter. Zuerst
macht sich die Farbe von der Natur unabhängig.
Die Farbigkeit wird über alle Naturmöglichkeit

hinaus gesteigert, die reinen Farben treten an
die Stelle der in der Natur vielfach gebrochenen,
man geht der Kraft und der Vereinfachung zu-
liebe auf die wenigen Grundfarben zurück.

Man geht bis zur Negierung der Natur und
malt die Menschenkörper grün, den Rasen rot.
Warum? Einer Farbwirkung, einer geistigen
Konstruktion zuliebe!

Das gleiche spielt sich mit der Form ab.
Auch sie kam vom Einfachen, Primitiven zum
Naturwidrigen. Wir kennen sie alle, die schein-
bar fehlerhaften Zeichnungen, die unmöglichen
Körper, die schiefstehenden Häuser, die Ver-
sündigungen gegen die Perspektive. Sie sind
nur zu verstehen als Proteste gegen die Natur,
als Eigenwilligkeiten eines Geistes, der damit
seine Weltbedingtheit abstreifen will. Hat er
sich zuerst damit begnügt, die Formen der
Natur zu vergewaltigen, zu verkrüppeln und
zu verdrehen, so geht er bald dazu über, ganz
aus Eigenem eine neue Welt aufzurichten. Die
Bilder dieser Formalisten haben wie in der
Farbe, auch in der Zeichnung mit der Natur
absolut nichts mehr zu tun. Sie sind reich und
voller Ausdruck wie die Natur, aber ganz aus
den Elementen des Geistes erwachsen.

Auf dieser Linie des Vorsturms und des Pro-
testes gegen dieNaturstehtheute dieSpitze. Ma-
len ist nicht mehr eine Hingabe an die Natur, son-
dern eine Evolution, eine Eruption des Geistes.
Nun muß es sich zeigen, ob das neue Bild im
Werte das frühere erreichen, ob der Geist die
Natur vergessen machen wird. . . . a. jaumann.

ADOLF HENGELER—MÜNCHEN. »DER GROSSE FISCH«
 
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