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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Volbehr, Theodor: Die Farbe grün, Goethe und Kandinsky
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0393

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ENTW. U. AUSF: FRITZI LOW—WIEN. »DECKCHEN IN TÜLLSTICKEREIc

DIE FARBE GRÜN, GOETHE UND KANDINSKY.

Ganz gewiß: Goethes Kunstanschauungen
decken sich nicht mit den künstlerischen
Gedanken Kandinskys. — Man möchte es auch
für selbstverständlich halten, daß das 18. Jahr-
hundert anders empfand als unsere Zeit und
daß die Augen eines klassizistischen Freundes
der Kunst anders sahen als die eines expres-
sionistischen Malers. Und doch können wir
feststellen, daß die Augen Goethes und die
Augen Kandinskys auf bestimmte farbige Wir-
kungen in der gleichen Weise antworteten und
daß ihre seelischen Empfindungen diesen Farben
gegenüber merkwürdig verwandt waren.

Im Jahre 1812 breitete Goethe seine Ge-
danken über Farbenprobleme jeglicher Art in
größter Ausführlichkeit vor seinen Lesern aus.
Er veröffentlichte unter dem Titel „Zur Farben-
lehre" vier Bände nebst einem Farben-Atlas,
die nach seinem eigenen Dafürhalten zu dem
Besten gehören, das seine Feder geschrieben,
und die auch in der Tat verdienen, nicht nur
von Goetheforschern gelesen zu werden.
— Und genau ein Jahrhundert später veröffent-

lichte Kandinsky in seinem Buche „Über das
Geistige in der Kunst, insbesondere in der
Malerei" ein Kapitel „über die Wirkung der
Farbe". Es ist augenscheinlich, daß Kan-
dinsky das Werk Goethes nicht benutzt hat,
als er seine Gedanken niederschrieb. Um so
interessanter ist es, zu sehen, daß er in sehr
wesentlichen Punkten mit ihm übereinstimmt,
vor allen Dingen, daß die Farben auf ihn fast
ebenso wirken wie auf Goethe.

Als typisch für diese innere Verwandtschaft
seien aus beiden Werken die Äußerungen über
die Farbe Grün herausgehoben.

Goethe sagt: „Wenn man Gelb und Blau,
welche wir als die ersten und einfachsten Far-
ben ansehen, gleich bei ihrem ersten Erscheinen
zusammenbringt, so entsteht diejenige Farbe,
welche wir Grün nennen. Unser Auge findet
in derselben eine reale Befriedigung. Wenn
beide Mutterfarben sich genau das Gleichge-
wicht halten, dergestalt, daß keine vor der an-
deren bemerklich ist, so ruht das Auge und
das Gemüt auf diesem Gemischten wie auf
 
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