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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

DOI Artikel:
Ritter, Heinrich: Die Kunst und ihr Publikum, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0196

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GASTON HEGUIN-LE LOCLE.

PLASTIK »ERWACHEN«

DIE KUNST UND IHR PUBLIKUM.

II. TEIL. DER I. TEIL ERSCHIEN IM MÄRZHEFT 1920.

Ich habe von den Schwierigkeiten gesprochen,
die die neue Kunstentwicklung dem Laien
bereitet. Ich habe versucht, mich in seine Lage
zu setzen. Ich habe angeführt, was zu seiner
Entlastung spricht, wenn er nicht sogleich mit
seinem Verständnis einer neuen Kunstwendung
folgt. Dies alles ausgehend von der Beobach-
tung, daß die innere Bereitschaft des Pu-
blikums, dem künstlerischen Fortschritt zu
folgen, viel größer, viel herzlicher ist als die
Künstler oft annehmen; daß an der Störung
des Einvernehmens zwischen Künstler und Pu-
blikum auch die Künstler ihr Teil Schuld haben.
Freilich nicht ihr Schaffen, denn das steht
unter höherem Zwang; sondern die Schroffheit
ihres Urteils über laienhafte Verständnislosig-
keit, die hochfahrende Überlegenheit, mit der
sie dem zögernden, unentschiedenen Verhalten
des Laien vor der Neuerung oft begegnen. Es
wird freilich nicht möglich sein, jeden Konflikt
zwischen der vorandrängenden Kunstentwick-
lung und dem nachfolgenden Laienverständnis
zu beseitigen. Eine Spannung zwischen beiden
wird von Zeit zu Zeit immer wieder eintreten.
Es liegt etwas Naturgesetzliches in diesem
Gegensatz. Aber eben deshalb, weil höherer
Zwang diesen Gegensatz immer wieder erzeugt,
muß der Mensch stets das Seine tun, ihn zu
mildern oder doch vor Ausartung zu bewahren.
Normalzustand der Natur ist im Geistigen wie

im Physischen der Krieg; Aufgabe des Men-
schen ist es, zu versöhnen. Künstler und Pu-
blikum haben sich bei ihren Konflikten neuer-
dings zu lieblos dem Stolz, der Abneigung, der
Verachtung überlassen. Künstler glaubten ihre
Sache nur vertreten zu können, indem sie wei-
ten Laienkreisen blindes Vorurteil und hämische,
gewollte Selbstverblendung vorwarfen. Laien
glaubten sich künstlerische Neuerungen nur er-
klären zu können, indem sie sie als bewußten
Bluff, als geistige oder gar moralische Ver-
irrungen hinstellten. Menschen aber sollten
wissen, daß es immer schlecht um eine Sache
steht, die zu ihrer Erklärung oder Verteidigung
den Gegner als einen Schurken oder als einen
Entarteten oder als einen Idioten betrachten
muß. Ich behaupte jedenfalls, daß man in der
Kunst sehr gut ohne diese verdächtigen Hilfs-
mittel auskommen kann.

Nachdem gesagt ist, was zu Gunsten des
Laien spricht, möge besprochen werden, was
seinem Kunsturteil am häufigsten als Mangel
anhaftet. Ich setze dabei einen Laien voraus,
der überhaupt Verhältnis zur Kunst, Lust am
Schönen, Ehrfurcht vor geistigem Wert, sinn-
liche Empfänglichkeit für Form hat.

Da ist es denn eine Frage, die der voran-
drängenden Kunst in hundert Gestalten vor-
gelegt zu werden pflegt: Weshalb gibt es in
der Kunst Entwicklung? Weshalb geht es
 
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