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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Max Klinger: Dem großen Toten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0247

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MAX KLINGER f.

DEM CROSSEN TOTEN.

Er war der Bruder Albrecht Dürer's: wie
dieser mit allen Fasern der Geisteswelt
und den Gestirnen verbunden, wie dieser ein
Könner von Gottes Gnaden, wie dieser ein fau-
stischer Sinner und Dränger. Nur in ihrer künst-
lerischen Handschrift waren sie verschieden.
Was Meister Albrecht auf mittelalterlich-dunk-
lem Grunde mit kraus eichen-deutscher Fraktur
hervorzauberte, das flammte unter Meister
Klingers kundigen Händen in edlen marmor-
weißen Antiqualettern auf blauer Himmelswand
empor. Barg jener sein Leben in Lust und
Schmerz, in Himmel und Hölle der christlich-
römischen Vorstellungswelt, war diesem Hellas,
Olymp und Orkus, Maske und Gewand, sich
selbst zu agieren, von seinem Erleben, Erfühlen,
Erfahren in bewegenden Rhythmen zu reden.

Wie Meister Dürer nicht eigentlich kam, nicht
allmählich heraufzog, erst klein und ringend in
Fernen, dann wachsend, wie er sein Können,
sein Handwerkszeug gleich mitbrachte, nicht
werden brauchte von Unreife zur Reife, so stand
auch Meister Klinger plötzlich vor unsern Augen,
ein Könnender, Ausgerüsteter, dem die Formen
nur Selbstverständliches sind und der nur zu
leben braucht um reden zu können........

Wir, die wir ihn kannten, weinen, daß wir
seine hohe Flammengestalt, die sich in der Er-
innerung immer ins Riesenhafte weitete, nicht
mehr sehen werden, weinen, daß wir seine
Stimme, die so schwerfällig gewaltsam nach
Ausdruck rang, weil Pan und der Wald und
das unendliche Meer, in Allem mitschwingen
wollten, nicht mehr hören werden, weinen, daß
wir nicht mehr diese Aura verspüren dürfen,
die so gewitterschwer mit Titanenkraft und so
sonnenhaft mit Götterliebe und mit Götter-
willen geladen war, weinen, daß unwieder-
bringlich dahin sind die Gelage bei Wein und
dämonischer Musik, zu denen er so gerne die
Besten berief und bei denen er so bescheiden
und anspruchslos und doch so unvergeßlich
überragend den Mittelpunkt abgab — wir wei-
nen als Menschen, als Erschütterbare, als Er-
fühler einer entstandenen Lücke, als Empfinder
gesteigerter Einsamkeit um uns. Wir weinen
wie bei allen Todesfällen um das Wehmütige
im Tod, das keinem erspart bleibt, um Men-
schenlos und Menschenleid! Aber auch nur so
dürfen wir an seinem Grabe trauern. —

Denn: Sein Werk ist nicht unterbrochen, kein
Bedauern zittert an seiner Bahre. Kein, „ja
 
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