Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

DOI Artikel:
Jaumann, Anton: Tendenziöse Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0288

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
TENDENZIÖSE KUNST.

Erschlagen sind die Wahrheiten von gestern.
Es lebe das Heute! Was wir glauben, ist
wahr, und nur, solange wir glauben. Der Künstler
hat sich in den Feuerwirbel der Politik, der
Tagespolitik geworfen. Nicht anteilnehmen,
schildern, nein, handeln ist seine Losung. Mitten
steht er in dem Gezisch von Haß und Eifer, die
Fackel der Kunst in erhobenen Händen, um zu
leuchten, zu führen, aber auch zu zerstören.
Seine Leidenschaften, lange quälerisch zurück-
gedrängt, sind ausgebrochen und rasen dahin.
In Freund und Feind ist die Welt zerfallen. Der
Künstler flucht, segnet, höhnt, kämpft, er, dessen
höchstes Ziel einst war, reinster, aufrichtigster
Spiegel zu sein, einer Welt die er nicht bessern
wollte. Schildern wollte er sie in all ihrer
Zerrissenheit und geflickten Buntheit, in ihrem
großen und doch wieder so kleinen Getriebe.

Welche Aufregung war um die Arme-Leute-
Maler seinerzeit, um Israels, Liebermann, Uhde,
Kollwitz! Eine umfangreiche Literatur hatte
sich um die Berechtigung der Tendenz in der
Kunst angesammelt. Eine eigene Lehrerver-

einigung hatte sich gegründet zu dem Zweck,
alle und jegliche Tendenz aus der Jugendlite-
ratur auszumerzen, aber auch aus dem Lese-
stoff des Volkes überhaupt. Sie waren natür-
lich der Ansicht, daß der Patriotismus den Stil
verdirbt. Und es galt nur der Stil der Wahrheit,
tendenzloser, voraussetzungsloser Wahrheit.

Diese Anschauung ist heute ganz unverständ-
lich geworden. So geht es mit den Glaubens-
sätzen von gestern ! Die Kunst hat ihre Reserve
vollständig abgelegt, sie will weder abgeklärt
sein, noch wahr, noch tendenzfrei, noch über-
haupt Kunst an sich. Der Maler predigt Welt-
anschauung, der Dichter singt verzückte Hym-
nen und blutige Kampflieder gegen seine poli-
tischen Feinde. Ein Bekenntnis, ein Kampfruf
soll jedes Bild sein! Jeder Strich zielt auf einen
Gegner, will den „Bürger" vor den Kopf stoßen.
Der eine hat es sich als Programm gesetzt, den
Menschen herabzudrücken zum Kretin. Ein
anderer sieht ihn als Feuerbrand. Die Ver-
göttlichung steht neben der Verkindlichung.
Kunst ist Umsturz. Wo früher patriotische Ge-
 
Annotationen