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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

DOI Artikel:
Lux, Joseph August: Die Kunst des Kunstempfindens
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0330

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PROFESSOR BRUNO PAUL—BERLIN.

»KAMIN PLATZ IM ROTEN ZIMMER

DIE KUNST DES KUNSTEMPFINDENS.

VON JOSEPH AUG. LUX.

Hört endlich auf mit dem Genießerstand-
punkt des Kunst „ genießens " ; Kunst ist
nicht da, zu digestiven Zwecken „genossen" zu
werden; sie will geahnt, erfühlt, im Innersten
erlebt, erlitten sein; der Weg ins Heiligtum
führt über die Schwelle der Andacht; geht Ihr
in die Kirche, Euren Gott „genießen"?!

Es ist nichts mit den Regeln und Rezepten,
die nur schulmeisterlich an der Außenwand
herumfingern und nicht aus dem Kern springen
wie das Licht aus seinem Brennpunkt; laßt uns
gleich von der Sache zentral reden — Kunst-
empfinden ist ein mystischer Akt wie die Ero-
tik ; sie ist nicht Liebe schlechthin, wie sie der
Lüstling „genießt", sie ist Religion!

Empfinde Kunst — dann wirst du ein Schaf-
fender der Seele! Aktiviere dich, entfalte
seelische Kräfte, indem du das fremde Werk
aus seinem Kern in dir zum Erblühen bringst.
Und dich wachsend an dem erfühlten Geist des
Kunstwerks deiner eigenen tätigen Kräfte freust,

die anders nicht die Auferstehung in ätheri-
schen Gefilden feiern!

Urteile nicht zuerst; empfinde! Dein Urteil
bist gewöhnlich nicht du, sondern ein Anderer,
der Abfälliges sagte; mißtraue den Urteilen!
Mißtraue auch dir, wenn dein Empfinden vor-
erst schweigt; prüfe lang und prüfe dich selbst
am meisten, und suche den Fehler in dir, wenn
du nicht zum Kunstwerk findest. Verwirf nicht,
sonst bist du leicht in den Augen Eingeweihter
selbst ein Verworfener!

Verlange nicht, daß das Kunstwerk zuerst
dir etwas sage; es braucht lang, bis du die
Eigensprache des Kunstwerks in dir vernimmst,
die Seelenschwingung fühlst, durch die es von
seiner ungeahnten Welt dir verkündet. Sage
dir selbst, daß man zur heiligen Empfängnis
bereit und aufgeschlossen sein muß, ehe uns.
eine Verkündigung werden kann.

Sie wird uns kaum, wenn wir hundert Bilder
in einer Stunde flüchtigen Ausstellungsbesuchs,
 
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