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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Niebelschütz, Ernst von: Der Mensch ohne Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0242

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FR. WEISSE.
ZIEGEN LEDER
MIT HAND-
VERG0L1JG.

DER MENSCH OHNE KUNST.

VON ERNST V. NIEBELSCHÜTZ.

Wenn es richtig ist, daß die Kunst nur mit
der Menschheit selbst sterben könne, so
fühlt man sich doch manchmal versucht, dem
Genus humanum keine allzulange Lebensdauer
mehr zuzutrauen. Es hat wirklich oft den An-
schein, als ob die Kunst trotz aller Leben vor-
täuschenden Betriebsamkeit im Sterben läge,
ob sie an einem Leiden dahinsiechte — lang-
sam, kaum merklich, wie ein wurzelkranker
Baum — das den Keim des Todes in sich trägt:
am wachsenden Tatsachensinn der Mensch-
heit. Und da ein Übel selten allein kommt, ge-
sellt sich der ersten Krankheit eine zweite, kaum
weniger gefährliche — die unaufhaltsame Dif-
ferenzierung des gesellschaftlichen Körpers.

Erinnern wir uns: die Kunst zieht ihre Nah-
rung nicht bloß aus der Sinnenwelt. Ihre Grund-
stimmung ist metaphysisch. Sie ist wesentlich
religiöses Verlangen, tiefe Sehnsucht der Kreatur
nach dem Heiligen in sich. Wenn uns noch
heute ein mit unzulänglichen Mitteln und ohne
Naturkenntnis ausgeführtes Werk des Mittel-
alters mehr ergreift als die vollkommenste Natur-
kopie: so geschieht es um dieses seines über-
sinnlichen Gehalts willen. Wir nehmen teil an
dem Leben der Seele, die mit dem Göttlichen
Zwiesprach hält. Ein solches Werk ist wahr,
so unwirklich es sein mag, ja oft umso wahrer,
je weniger sich seine Formen mit denen der
Natur decken. Aber auch wo beide völlig zu-

XXIV. Janaar 1921. 6
 
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