s
K. BAUER KARLSRUHE.
»KINDER-BILDNIS«
ZUR KUNST-ERÖRTERUNG DES AUGENBLICKS.
Die Kunsterörterung des Augenblicks, we-
nigstens die deutsche, steht unter dem
Zeichen dessen, was Ende des Expressionismus
genannt wird. Es dürfte eine dornige Aufgabe
sein, zu entscheiden, was in diesem Begriff
bloßes Wort und was wirkliches Ereignis ist.
Was ist zu Ende, wenn der Expressionismus zu
Ende ist? Etwa die ganze moderne Kunst seit
1910? Kaum möglich. Denn in ihr bildete der
eigentliche Expressionismus (die rauschhafte,
extatische, formsprengende, naturfeindliche
Richtung) nur eine Sonderströmung. Vielleicht ist
nur ein Schlagwort damit zu Ende, ein Schlag-
wort und ein Rezeptglaube. Die waren jedoch
beide unzulänglich und dumm von Anfang an.
Das Richtige wird wohl sein, daß das neue
Schlagwort „Ende des Expressionismus" eine
neue Regung des Zeitgeistes ankündigt, die vor
allem damit beginnt, daß sie ihren Vorgänger
für tot erklärt. Das ist ihr gutes Recht. Das
Recht der Gewalt. Denn die Wendungen des
Zeitgeistes, seine Wallungen und Appetite,
folgen einander nicht nach Wertgründen, sondern
nach Machtgründen. Das Alte in der Kunst ist
tot, weil ein Neues da ist. Dagegen gibt es
keine Berufung. In diesem Vorgang wirken
ähnlich vernunftlose Kräfte wie im Wechsel der
Moden. Der Betrogene ist immer nur der, der
an die Endgültigkeit oder an die rezepthafte
Wert-Ergiebigkeit einer neuen Wendung glaubt.
Wie sieht aber das Neue aus, das an die
Stelle des totgesagten Expressionismus treten
will? — Wir unterscheiden zweierlei, noch
dazu auf völlig getrennten Gebieten.
Im Gebiet der produzierenden Kunst die
neue Wendung zu einem Klassizismus aus dritter
oder vierter Hand: Nazarenertum. Klassizis-
mus entsteht immer entweder aus erkämpfter,
siegreicher Beruhigung oder aus Sehnsucht nach
Ruhe, also aus Ermattung. Das letztere dürfte
wohl unser Fall sein. Die Raserei der Aufbäu-
mung hat uns dem Ziel der dauerhaften Wert-
leistung nicht näher gebracht. Im Gegenteil:
wir haben uns durch sie erst recht an den end-
gültigen Schranken, die der Kunst unseres Zeit-
alters gesetzt sind, gestoßen. Wir glauben, daß
uns im großen Ganzen ein gewisser Verzicht auf
das Endgültige aufgezwungen ist, und glauben
einzusehen, daß dieser Verzicht nicht laut und
lärmend, sondern ebensogut still und besonnen
K. BAUER KARLSRUHE.
»KINDER-BILDNIS«
ZUR KUNST-ERÖRTERUNG DES AUGENBLICKS.
Die Kunsterörterung des Augenblicks, we-
nigstens die deutsche, steht unter dem
Zeichen dessen, was Ende des Expressionismus
genannt wird. Es dürfte eine dornige Aufgabe
sein, zu entscheiden, was in diesem Begriff
bloßes Wort und was wirkliches Ereignis ist.
Was ist zu Ende, wenn der Expressionismus zu
Ende ist? Etwa die ganze moderne Kunst seit
1910? Kaum möglich. Denn in ihr bildete der
eigentliche Expressionismus (die rauschhafte,
extatische, formsprengende, naturfeindliche
Richtung) nur eine Sonderströmung. Vielleicht ist
nur ein Schlagwort damit zu Ende, ein Schlag-
wort und ein Rezeptglaube. Die waren jedoch
beide unzulänglich und dumm von Anfang an.
Das Richtige wird wohl sein, daß das neue
Schlagwort „Ende des Expressionismus" eine
neue Regung des Zeitgeistes ankündigt, die vor
allem damit beginnt, daß sie ihren Vorgänger
für tot erklärt. Das ist ihr gutes Recht. Das
Recht der Gewalt. Denn die Wendungen des
Zeitgeistes, seine Wallungen und Appetite,
folgen einander nicht nach Wertgründen, sondern
nach Machtgründen. Das Alte in der Kunst ist
tot, weil ein Neues da ist. Dagegen gibt es
keine Berufung. In diesem Vorgang wirken
ähnlich vernunftlose Kräfte wie im Wechsel der
Moden. Der Betrogene ist immer nur der, der
an die Endgültigkeit oder an die rezepthafte
Wert-Ergiebigkeit einer neuen Wendung glaubt.
Wie sieht aber das Neue aus, das an die
Stelle des totgesagten Expressionismus treten
will? — Wir unterscheiden zweierlei, noch
dazu auf völlig getrennten Gebieten.
Im Gebiet der produzierenden Kunst die
neue Wendung zu einem Klassizismus aus dritter
oder vierter Hand: Nazarenertum. Klassizis-
mus entsteht immer entweder aus erkämpfter,
siegreicher Beruhigung oder aus Sehnsucht nach
Ruhe, also aus Ermattung. Das letztere dürfte
wohl unser Fall sein. Die Raserei der Aufbäu-
mung hat uns dem Ziel der dauerhaften Wert-
leistung nicht näher gebracht. Im Gegenteil:
wir haben uns durch sie erst recht an den end-
gültigen Schranken, die der Kunst unseres Zeit-
alters gesetzt sind, gestoßen. Wir glauben, daß
uns im großen Ganzen ein gewisser Verzicht auf
das Endgültige aufgezwungen ist, und glauben
einzusehen, daß dieser Verzicht nicht laut und
lärmend, sondern ebensogut still und besonnen