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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Siemsen, Hans: André Derain
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0259

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ANDRE

DERAIN

STILLEBEN.

ANDRE DERAIN.

Eine Eigenschaft vor andern ist es, die das
geistige und künstlerische Leben Deutsch-
lands reicher und vielseitiger macht und ihm
einen weiteren Horizont verschafft als dem vieler
anderer Nationen. Es ist die — schon ebenso
oft gesegnete, wie verfluchte — sehr deutsche
Eigenschaft: eine fremde Weise verstehen, lieben
und — singen zu können. Mag es sich um
Literatur oder um bildende Kunst handeln.
Strindberg und Hamsun, Cezanne, van Gogh,
Münch, Picasso und Henri Rousseau hatten in
Deutschland eher eine Gemeinde und eine
größere als in ihren Heimatländern.

Der National-Eingestellte mag das beklagen;
und sicher wird manch schwaches Talent, das
hinter wohlbehüteten Hecken seinen kleinen
Garten vielleicht ganz niedlich bebaut und ge-
pflegt hätte, vor so erweitertem Horizont die
Orientierung verlieren und sich verirren; das
allgemeine Leben aber kann durch die Ein-
führung fremder Werte (wenn es nur wahr-
hafte Werte sind!) nur gewinnen.

Bis zum Ausbruch des Krieges hat man in
Deutschland die Entwicklung der französischen
Malerei mit beinah größerer Einsicht verfolgt
als in Frankreich selbst. Das „Ende" des

Impressionismus, das kein Nachlassen und
Schwächerwerden sondern ein über die „Rich-
tung" Hinauswachsen ihrer Träger (Renoir,
Bonnard), kein Zerstören sondern ein Aufbauen
(Cezanne) und Weiterführen (Matisse, Picasso)
war, dieser sichtbare Wandel einer Epoche der
Malerei in die andere wurde uns zum Erlebnis
— zu einem Erlebnis, das der Krieg unterbrach.
Seit etwa zwei Jahren erst können wir wieder
mit eigenen Augen die Entwicklung der fran-
zösischen Malerei verfolgen und die Strecke
Weges übersehen, die während des Krieges
zurückgelegt worden ist.

Es ist wie bei uns. Wesentlich Neues und
Wichtiges hat sich kaum ereignet. Neue Namen
sind kaum aufgetaucht. Aber Begabung, Charak-
ter und Bedeutung der schon vor dem Krieg
bekannten Führer sind klarer, Unterschiede
deutlicher geworden.

Von Bonnard, der — Lehrer keiner Schule,
Führer keiner Richtung — in einsamer Arbeit
sich zu immer herrlicherer Reife entwickelt,
kann man absehen. Er steht so jenseits jeden
Streits, wie bei uns etwa Hans Thoma. Auch
Matisse war schon 1914 was er heute ist. Eine
neue Entwicklung oder gar wesentliche Wand-

XXVI. Februar 1923. 1
 
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