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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Siemsen, Hans: André Derain
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Habicht, Victor Curt: Das unideale Sein und die absolute Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0260

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Andre Derain.

hing läßt sich (soweit das von Deutschland aus
zu beurteilen ist) nicht feststellen, war auch von
diesem teils männlich-menschlich-reifen, teils
professoralen Fünfziger nicht mehr zu erwarten.

Alle andern (soweit sie für die Entwicklung
und Weiterführung der Malerei überhaupt in
Betracht kommen) leben und arbeiten noch
immer unter dem Riesenschatten Cezannes.
Daß unter ihnen Derain am bewußtesten, auf
einem geraderen und einfacheren Wege als die
Kubisten, man möchte sagen am pietätvollsten,
das Erbe des großen Toten verwaltet und weiter
zu führen versucht, das scheint mir das deut-
lichste und bedeutungsvollste Ergebnis seiner
Arbeit der verflossenen Jahre zu sein.

Andre Derain 1880 in Chatou bei Paris ge-
boren, begann schon als Kind, gegen den Willen
der Eltern, die einen Ingenieur aus ihm machen
wollten, zumalen. Obwohl er im Atelier Carriere
„studierte", wäre es töricht, ihn als Schüler
Carrieres anzusehen, in dessen Atelier er kaum
etwas anderes als die Gelegenheit, nach Modell
zeichnen zu können, profitierte. Eine aus der
Jugend stammende Freundschaft mit Vlaminck,
die Bilder van Goghs (1904), die Theorien und
Experimente Matisses (1906 und später), Henri
Rousseau (1911) haben starke Einflüsse auf ihn
ausgeübt. Völlig entscheidend aber ist für ihn das
Werk Cezannes geworden, dessen volle Bedeu-
tung er etwa 1907 (oder 1908) erkennt, erlebt,
erkämpft. Die seit jener Zeit immer wiederholte
und variierte Auseinandersetzung mit den Pro-
blemen und Lehren der Cezanneschen Malerei
hat Derains Bildern erst jene Klarheit, Einfachheit
und Solidität des Aufbaus gegeben, die wir an
ihnen lieben, und die er so ziemlich als einziger,
ohne die Hilfsmittel des Kubismus erreicht.

Da er Soldat werden mußte, unterbrach der
Krieg fünf Jahre lang seine Arbeit. Er hat sie
erst 1919 wieder aufnehmen können. Eine
Derain-Ausstellung der Galerie Flechtheim
(Berlin) zeigte im verflossenen Herbst einige
Arbeiten aus diesen letzten vier Jahren. Wenn
man nach ihnen urteilen darf, so beweisen sie,
daß Derain nach den Jahren der Arbeit und
des Kampfes auszuruhen beginnt. Kein Ringen
und Kämpfen um ersehnte Ausdrucksmittel
mehr, sondern ein Genießen, ein Sich-erfreuen
der erkämpften Mittel, des erreichten Könnens.
Der Aufbau des Bildes scheint müheloser,
weniger absichtlich, freilich auch weniger klar;
die Palette ist heller und zarter geworden. Man
sieht diesen Bildern (besonders den bezau-
bernden römischen Landschaften) nicht an,
daß sie Resultate einer zwanzigjährigen un-
ermüdlichen, erbitterten Arbeit sind. So leicht,
so mühelos, so heiter sieht das alles aus. Nicht
nur Wesen und Persönlichkeit ihres eigenen
Schöpfers, die ganze Tradition der französischen
Malerei spricht aus diesen Bildern, die bewußte
sowohl wie die unbewußte, die Lehr- sowohl
wie die Bluts-Tradition. Der unbeirrbare Ge-
schmack, der (unter anderm) aus dieser Tra-
dition resultiert, birgt ohne Zweifel Vorzüge
und Vorteile, die der Malerei aller germanischen
Läader in erschreckendem Maße fehlen. Er
birgt aber, wir wollen das nicht vergessen,
ebenso große Gefahren, Gefahren denen selbst
ein so ernster, arbeitsamer und starker Mensch
wie Derain nicht immer entgeht. Die — einmal
überwunden — allerdings seinen Bildern einen
Glorienschein von Schönheit verleihen, der
heute in den Ausstellungen und Galerien selten,
allzu selten gefunden wird.....hans siemsen.

DAS UNIDEALE SEIN UND DIE ABSOLUTE MALEREI.

von professor dr. c. v. habicht.

Ein dicker Stein ist ins Wasser gefallen. Es
ist klar, daß es trübe wurde (für uns). Alle
Begriffe sind verschlammt. Die Binsenwahrheit
der Relativität unserer Bezugnahme (nicht der
Wahrheit, des Seins, der Erkenntnis) tat das
ihre. Ob der Expressionismus tot oder nicht, wer
weiß es heute? Er ist — dieser für uns einst
heilige Begriff — kaum mehr als ein Spekula-
tionspapier — wie anderes in dieser Zeit.

Resignation ferner denn je (auch der unter-
kiefermäßig raubtierähnlichste Schieber muß
einmal reiner Geist werden I), und so kann es nur
einen Sinn haben, über Kunst zu sprechen,
wenn wir glauben, klar sind, fordern. . . .

Keinem zu verdenken, der nicht verstand,
was der elementare Ruck bedeute, den wir uns
nun einmal gewöhnten, insgesamt Expressionis-
mus zu nennen. Nichts als eine den Kindheits-
erinnerungen gleich faszinierende kann bestim-
men, das Wort beizubehalten. (Was die Ge-
schichte auch tun wird.) Es gibt nur ein Erleb-
nis dieses Ruckes — und verdienstlos bleibt es,
davon zu sprechen — und was schlimmer ist,
vergeblich, wenn es nicht erfahren. Allein —
es hat keinen Sinn, sich auf die Postamente der
Götter zu stellen und über die Menschen zu
lachen, deren Stunden mit 60 Minuten bezahlt
werden. Für uns bleibt Zeit ein Gespann und
 
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