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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Roessler, Arthur: Städtebilder: ein Gespräch zweier Freunde ; erlauscht und niedergeschrieben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0379

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Städtebilder.

ich dir nicht sage, daß meiner Meinung nach
der Mensch des Maschinenzeitalters vermutlich
weder Zeit noch Lust dazu hat, dem geheimnis-
vollen Raunen der künstlerischen Romantik zu
lauschen. In seine Ohren gellt der markerschüt-
ternde, heulende Rufton der Fabriksirenen.
Nicht das hüpfende Irrlicht im sumpfigen Moor,
sondern der aufzischende blaue Funken am
Leitungskabel der in Schienen über glatte As-
phaltflächen sausenden Trambahn erregt den
Sinn der Menschen von heute. Das phantastische
Sparrenwerk kühn geschwungener Eisenkon-
struktionen überbrückt eben nicht nur Ströme
und Schluchten, sondern auch andere, bisher
unüberbrückt gewesene Abgründe. Man schürft
nicht nur in geheimnisvolle Tiefen der Seele,
sondern auch in die dunkeln und warmen Tiefen
der Erde, und man baut nicht bloß hoch in
kühle Höhen, und die enormen Dampfhämmer
schmettern nicht nur wuchtig auf Stahlblöcke
nieder, sondern schlagen auch sonst noch allerlei
breit und platt. Und die Schnellbahnen rasen
nicht nur über Schwellen und Schienen, sondern
auch über manches Vorurteil und manche ver-
altete Einrichtung hinweg. Denn wir leben in
einer Zeit, für die nicht mehr die Postkutsche,
für die das Flugzeug charakteristisch ist."

Der Andere: „So ist es zweifellos. Doch
vergißt du zu erwähnen — vielleicht nur weil
du unterlassen hast darauf zu achten — daß
aus all dem ungeheuren Industrielärm, dem
Zankgeschrei der Märkte und Parlamente, dem
Heulen und Kreischen, Dröhnen und Schrillen,
Feilschen und Bieten, kurzum all dem neuzeit-
lichen Lärm, zuweilen doch auch der wehmütige
Ruf einer uralten Sehnsucht nach Schönheit
dringt, nach Schönheit im Alltag und nach
wohlgeratenen Dingen für das werktägliche
Leben auch."

Der Eine: „Von diesem Ruf sprach ich nicht,
weil es sich von selbst versteht, daß er laut
wird. Ihn zu vernehmen hast du doch auch in
der modernen Großstadt oft genug Gelegenheit.
Warum preist du überhaupt nur die alte Stadt,
sprichst du der modernen Stadt denn alle
Schönheit ab ?"

Der Andere: „Durchaus nicht. Auch die
riesigen Weltstädte der neuzeitlichen Zivilisa-
tion haben ihre erlesenen Stunden ungewöhn-
licher Schönheit. Wenn die kohlenrauchbraunen
und benzindampfblauen, die schwefelgelben
und die wasserweißen Abendnebel verschleiernd
über eine Großstadt sich breiten und die häß-
lichen, formkargen Nutzbauten, die breit hinge-
lagerten Schuppen und die hochragenden Spei-
cher, die Kasernen und Bürohäuser umhüllen
und die hohen Fabrikschornsteine in schlanke

Campagnile und Minarette verwandeln, wenn
die Warenhäuser und Amtsgebäude zu licht-
sprühenden Märchenpalästen und die aus dür-
rem Eisengestänge geschmiedeten Brücken zu
zierlich genetzten Gespinsten werden, die in
elegantem Schwung über dunkel fließenden,
von viel tausend Lichtreflexen übersprenkelten
Wasserläufen hängen; wenn zahllose Lichter-
schnüre, gleich magisch leuchtenden Perlketten,
am Leib der sonst verdunkelten Stadt funkeln
und schattengleich die eilenden Wanderer in
den Straßenabgründen aus grellem Lichtkegel in
weichdunkle Schattengevierte tauchen, der Ar-
beiter wie der Bummler, der Fromme wie der
Frevler, der Tugendsame wie der Lasterhafte,
der Gesunde wie der Kranke, der Schöne wie
der Garstige, der Fröhliche wie der Traurige,
der Junge wie der Alte, und die Nächsten ein-
ander nicht mehr erkennen und verstehen, wie
sie sich nicht mehr sehen, dann, mein lieber
Freund, ist die moderne Stadt auch für den
Künstler schön, sehr schön sogar; dann hat Gott
durch seine Dienerin Natur über die Stadt der
Menschen gesiegt und alles darin einander
Widerstreitende zu einem großen Einklang zu-
sammengestimmt. "

Der Eine: „Ja, es ist dann die Zeit, in der
wir unsern persönlichen Abenteuern im Leben
begegnen können, in der wir zu Befriedigten
oder Enttäuschten, zu Beseligten oder Betrüb-
ten, zu Siegern oder Besiegten werden. Die
Stunden laufen ab, in denen wir uns mit unsern
Freunden zusammenfinden, um an ihren Er-
fahrungen unser Bewußtsein vom Leben zu be-
reichern. Denn allein können wir das ganze
Leben ja doch nicht erfassen."

Der Andere: „Nein, das können wir allein
nicht, selbst in diesen abendlichen Stunden der
Kommunion nicht, die ebenso sehr die Stunden
der Aufschließung wie der Einkehr, der Wiß-
begierde wie der Selbstbesinnung sind. Die
Lebenserfahrung von Generationen wird uns
wichtig und wir möchten gerne zu Wissen ge-
langen durch das Mittel der Übertragung starker
Empfindungen. Wir wünschen unser Gemüt
stark bewegt zu fühlen durch Wallungen und
unsern Geist stark bewegt durch Gedanken.
Wir werden im lichtdurchwirkten Dunkel dieser
Stunden empfänglich für das geheimnisvolle
Walten in den Werken der Kunst, für den Ton
in der Rede, die Melodie in der Musik, den
Klang und Rhythmus in Vers und Prosa, die
Farben in der Malerei, die Formen in der Pla-
stik, die Linien und Maße in der Architektur."

Der Eine: „Du scheinst wie besessen von
der Architektur und biegst das Gespräch sachte
wieder zur Architekturmalerei zurück. Sag'

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