GUSTI BLÄST—BERLIN. »FRAUENKOPF« 1923.
VON DER FREUDE.
Vor Jahren ging ich mit einem Genfer Kunst-
kritiker durch eine expressionistische
Kunstausstellung. Vor einem Porträt von Felix
Müller blieb er stehen und erging sich in Er-
örterungen über das, was er „la crise de la
laideur" nannte. Begriff und Prägung wollten
mir damals nicht recht eingehen. Denn „Häß-
lichkeit" ist für den Deutschen niemals ein
ästhetischer Haupt- und Endbegriff gewesen.
Das Häßliche läßt sich ebenso gut in den Kunst-
zweck einbauen wie das Schöne; das Leben-
dige ist es und die Form, worauf es ankommt.
Daher mein Stutzen. Aber im Lauf der Jahre
gewann ich, im Zusammenhang mit gewissen
Wünscbbarkeiten, die die junge Kunst mir sel-
ber unerfüllt gelassen hatte, zu dem Problem
ein anderes, ein näheres Verhältnis. Ich mußte
mir sagen, daß das Wort „Häßlichkeit", womit
Jener einen Mangel der jungen Kunst bezeich-
nete, eigentlich etwas Anderes, Allgemeineres
sagen wollte. Es wollte hinweisen auf einen
Mangel an Freude in dieser Kunst, und es
wollte diesen Mangel an Freude zugleich be-
gründen: Freudlos schien dem Urteilenden
diese Kunst, und den Grund glaubte er darin
zu finden, daß sie Häßliches darstellte oder die
VON DER FREUDE.
Vor Jahren ging ich mit einem Genfer Kunst-
kritiker durch eine expressionistische
Kunstausstellung. Vor einem Porträt von Felix
Müller blieb er stehen und erging sich in Er-
örterungen über das, was er „la crise de la
laideur" nannte. Begriff und Prägung wollten
mir damals nicht recht eingehen. Denn „Häß-
lichkeit" ist für den Deutschen niemals ein
ästhetischer Haupt- und Endbegriff gewesen.
Das Häßliche läßt sich ebenso gut in den Kunst-
zweck einbauen wie das Schöne; das Leben-
dige ist es und die Form, worauf es ankommt.
Daher mein Stutzen. Aber im Lauf der Jahre
gewann ich, im Zusammenhang mit gewissen
Wünscbbarkeiten, die die junge Kunst mir sel-
ber unerfüllt gelassen hatte, zu dem Problem
ein anderes, ein näheres Verhältnis. Ich mußte
mir sagen, daß das Wort „Häßlichkeit", womit
Jener einen Mangel der jungen Kunst bezeich-
nete, eigentlich etwas Anderes, Allgemeineres
sagen wollte. Es wollte hinweisen auf einen
Mangel an Freude in dieser Kunst, und es
wollte diesen Mangel an Freude zugleich be-
gründen: Freudlos schien dem Urteilenden
diese Kunst, und den Grund glaubte er darin
zu finden, daß sie Häßliches darstellte oder die