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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 55.1924-1925

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Wolfradt, Willi: Die Richtung der künstlerischen Erkenntnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9178#0151

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PROFESSOR OTTO Gl'SSMAXN.

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DIE RICHTUNG DER KÜNSTLERISCHEN ERKENNTNIS.

Erkenntnis, die statt nach dem Wesen der
Erscheinungen — nach ihrer Entstehung,
nach ihren Vorbedingungen fragt, ist miß-
bräuchlich wie die „Studien" eines Kindes, das
mit seiner Puppe nichts Besseres anzufangen
weiß als sie anzubohren und zu prüfen, wie
und woraus sie gemacht sei. Auch aus solcher
Betätigung des Wissensdranges bekundet sich
Intelligenz, auch das Zerstörungsspiel bereitet
Freude. Nur ist gewiß, daß solche Behandlung
von Puppen nicht deren Bestimmung gemäß
und eben kein Ausdruck phantasievoller Er-
griffenheit ist. Und ganz ebensowenig ent-
spricht der Bestimmung des künstlerischen Ge-
bildes, wer nicht ihm selbst, seiner Gestalt,
seiner Sprache sich überläßt, sondern sich für
sein Zustandekommen interessiert und
über den Fragen nach Autor und Geburtsjahr,
nach den historischen und lokalen und psycho-
logischen Voraussetzungen aller Art vergißt,
die Botschaft zu empfangen. Alle derartige

Fragen gehen am Wesen des Kunstwerks vorbei.
— Jedes Gebilde hat die Funktion der Wahr-
heit, der Offenbarung; es will aufgenommen
sein wie jede andere verkündete Wahrheit, über
deren Botschaft und Gehalt man nachdenkt,
die man auf sich wirken läßt, der man in ihre
Tiefen zu folgen sucht. Auch die Feststellung,
wer eine ethische Regel zuerst ausgesprochen
hat, wann und aus welchem Anlaß und infolge
welcher persönlichen Konstitution er auf sie ver-
fallen ist, entbehrt nicht des Wertes. Aber hier
wird ja nun nicht zweifelhaft sein können, daß
derlei Erkundungen sekundärer Natur sind, —
in dem zwiefachen Sinne, daß sie sich auf sach-
lich untergeordnete, peripherische Tatsachen
beziehen, und daß sie vernünftigerweise erst
angestellt werden können, nachdem der Sinn-
gehalt des Wahrheitssatzes überhaupt erfaßt ist.
Daß es die allgemeine Neigung hat werden kön-
nen, vor allem der Genesis und den Bedingnissen
des künstlerischen Werkes (statt seinem Aus-
 
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