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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Schürer, Oskar: Architektur und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0255

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ARCHITEKTUR UND MUSIK.

VON DR. OSKAR SCHÜRER.

Es ist verlockend, Beziehungen zwischen den
Künsten nachzusinnen. Aber es ist gefähr-
lich, Verwischungen drohen. Wer sie vermei-
den will, muß bereit sein, den oft blendenden
Vergleich sofort zurückzunehmen, wo das Eigen-
leben einer Kunst sich wehrt.

Wir denken an das Wort von der Architek-
tur als der gefrorenen Musik. Goethe hat es
in seinen Gesprächen zitiert. Der wissenschaft-
liche Streit, der sich um den Nachweis der Her-
kunft dieses Wortes entsponnen, hat Schelling
als seinen Präger erwiesen. Romantischem
Geiste also ist es entsprungen. Jenem Geist,
der alles Feste autlöste in Bewegung. Dem
Bewegung gleich Leben, gleich Kunst, gleich
Religion, gleich Liebe, gleich Erkennen, dem
alles ein panisches Strömen war, entspringend
und mündend im All.

Und dieses Wort gilt tiefer, grundsätzlicher,
als der auslösende Moment es erfunden hatte.
Dieser entsprang dem Gefühl, entsprang dem
Staunen der Romantiker vor dem Linienfluß
der Gotik, vor dem aufstürmenden Wellen-
schlag dieser Gesänge in Fialen, Streben und
Türmen, in Kreuzblumen, Baldachinen und Ge-
simsen. Mitschwingendes Gefühl erfaßte das
Starre im lösenden Strom der Bewegung,
schmolz alles Gebundene auf, und schwelgte im
rauschenden Empor der gelösten Materie. Jene
Kunstliebhaber empfanden am Bauwerk die
Melodik der Linien und Massen.

Im Sensuellen also wurzelte dies Ahnen
einer Analogie. Ganz sensuell wurde die Bau-
kunst erfaßt. Ihr webendes Formenspiel wirkte
aufs Gemüt, nicht die harte Struktur. Und
ganz gleicherweise trat man der Musik gegen-
über. Ihr Schwingen und Gleiten, ihr Auf und
Nieder rührte an die leis erklingenden Gefühle.
Hier und dort also war es die Melodik, die den
Vergleich vermittelte. In ihr glitten Gefühle
herüber, hinüber, und erkannten sich als die
gleichen. Und das war ja der Romantik letztes
Streben: Rückführung der verschiedenen Sinne
auf den einigen Grund, aufs Urgefühl.

Aber viel tiefer gründet sich die eigentliche
Ähnlichkeit dieser beiden Künste. Unter allen
Künsten sind sie es, die sich am absolutesten
erheben ins Reich der Konstruktion. Und hier
erst ruht das Zwingende des Vergleichs: Im
Fugalen, das im Bauwerk ebenso bestimmend

ist wie im Musikwerk. Hier, in der Architektur
wie in der Musik, ist es am Tiefsten gelöst von
allen gedanklichen Verbindungen, von allen
Seh- und Hörgewohnheiten des praktischen
Lebens. Im Reich des Absoluten regiert es die
Form. Ein Dom z. B. mit seinen Raumsteige-
rungen, Lichtführungen, Turmsynkopen läßt
sich ablesen wie eine Fuge, — und in der musi-
kalischen Fuge lebt der streng bauende und
schichtende Geist der Architektur. Erst wo
man begriffen hat, wie notwendig sich solches
Schaffen, das musikalische wie das architekto-
nische, aus seinen Grundbedingungen erhebt,
wie es motivisch und rhythmisch sich streng
entwickelt, hoch über den Zwecken der Wirk-
lichkeit, erst da ist man dem Wesensgrunde
dieser beiden Künste nahe.

Aus ihm folgt dann eine Menge von Einzel-
elementen, die in beiden Kunstarten korrespon-
dieren. Musik wird im Ablauf der Zeit erfaßt.
Auch die Architektur, als die Gestaltung von
Raum, bedarf der Zeit, um sich ins aufnehmende
Bewußtsein einzufügen. Räume müssen durch-
wandelt, Verschlingungen der einzelnen Kom-
partimente zum Gefüge müssen erforscht, im
Nacheinander gespürt werden. Und dieses
Nacheinander enthält auch hier das Element
des Rhythmus. In beiden Künsten ist es das
tragende, in beiden das erste. Im Anfang war
der Rhythmus, — nicht nur in der Musik. Er
wirkt ganz gleich in der Baukunst: in der Ab-
folge der Räume, in der Stellung von Arkaden
und Fenstern, im Nacheinander der Schilfe und
Hallen und Höfe. Wem dabei die Raumempfin-
dung sich umsetzt in Klänge, dem vertauschen
sich eben nur Sinnesempfindungen, und das
ist möglich, weil sie im Tiefsten auf gleichen
Gesetzen beruhen.

In solcher Richtung also hätte man Bezieh-
ungen zwischen Architektur und Musik nach-
zugehen. Um so aber nicht billigen Triumphen
zu verfallen, mag man dabei stets der paradox
erscheinenden Tatsache gedenken, daß nun
auch gerade wieder die Baukunst es ist, die
sich am weitesten von der Musik entfernt: in
ihrer Zweckbedingtheit nämlich, in der sich
ihr stoffliches Wesen dem formalen gegenüber-
stellt. — Es ist das besondere Problem der Ar-
chitektur, — und dieses setzt sie der ganz zweck-
entbundenen Musik wieder polar entgegen.

XXVIII. Juli 1925. 5
 
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