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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Ritter, Heinrich: Dienende Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0301

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G. HENGSTEN BERG BERLIN.

* VARIANTE NEBEN ST. BRUNNENS«

DIENENDE KUNST.

Man neigt bei uns dazu, Fragen der Kunst
in einem etwas pathetischen, in einem zu hohen
Stil zu behandeln. Redeweisen, Anschauungs-
weisen, die man nur angesichts der künstler-
ischen Spitzenleistungen der Menschheit an-
wenden kann, werden häufig in den bescheide-
neren, alltäglichen Dienst an der Kunst hinein-
gemengt. Wo von der Kunst die Rede ist —
man denke etwa an Ausstellungseröffnungen,
Kunsterlasse, Schulunterricht, Zeitungskritiken
usw. — da muß sie immer die hohe Göttin sein,
die wir aus dem Weltbilde unsrer Klassiker
kennen. Es fragt sich, ob man nicht dadurch
die Menschen mehr von der Kunst abschreckt
als zu ihr hinführt. Die Kunst wird durch eine
solche taktlos überhöhte Behandlungsweise
fern gerückt, sie tritt in eine Tempeleinsamkeit,
und der Einzelne verliert die Beziehung zu ihr.
Außerdem wird der Blick für das Wirkliche,
für das Abgestufte der Kunstleistungen, der
Blick für Wertgrenzen und der Sinn für Echt-
heit des Kunsterlebens dadurch gefährdet. Wo-
hin kämen wir, wenn nur das „Große" gelten
sollte? Fünfundneunzig vom Hundert aller
Kunstproduktion, wie die alljährlichen Massen-
ausstellnngen sie ausbreiten, scheiden von vorn-
herein aus jedem Wettbewerb um Dauerwert
aus. Man weiß, daß von den übrigbleibenden
5 Prozent nur ein winziger Bruchteil Aussicht

hat, etwa in die Kunstgeschichte überzugehen.
Soll all das andere verloren sein? Soll es radi-
kal vergebliche Arbeit gewesen sein? Eine
schreckliche Aussicht! Eine Vergeudung von
unerhörtem Ausmaß!

Nein, man tut, glaube ich, gut, daran zu er-
innern, daß die Kunst nicht nur die große Rätsel-
deuterin, die Sprecherin der Menschheit, die
Künderin der ewigen Schönheit ist, sondern
daß sie auch redliche, ersprießliche Dienste
minderer Ordnung tut, und daß diese sogar
die Hauptsache sind. Es sind die Werktags-
dienste der Kunst, es sind die vielen kleinen
Hilfen, die sie dem Leben in unscheinbarer
Gestalt erweist.

Sie hat es nicht nur mit Ewigem und Äußer-
stem zu tun, sie will vergänglichen Menschen
die Wohnung schmücken, sie will uns Freude
an wahrer oder gar schöner Form schenken, sie
will uns befreien, indem sie uns, wenn auch in
bescheidenem Maß. das Vergnügen des reinen
Schauens spendet. Sie will uns, mit Plauder-
haftigkeit oder lyrischem Schwung, zeigen, wie
begabte Menschen von guter Beobachtung sehen
und empfinden. Sie will uns von einem bestimm-
ten Menschen, eben dem Künstler, etwas er-
zählen. Wir haben ja alle eine naive Neugierde,
in eine fremde Welt hineinzusehen, uns ir-
gendwie, sei es selbst durch Klatsch oder Be-

XXVIII. August 1925. 4
 
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