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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Michel, Wilhelm: Malerei und Bühnenbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0349

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HERTA B UCHER—WIEN.

WlhNKK I'OKZELLAN-FABRIK.

»BRIE b'BESCHWERER «

MALEREI UND BÜHNENBILD.

Wenn man in die Welt des modernen Büh-
nenbildes blickt, tut sich eine verwirrende
Vielfältigkeit auf. Fast sämtliche Probleme, die
die bildende Kunst unsrer Zeit begeistert oder
geängstigt haben, tauchen auch in der Bühnen-
malerei auf, nur unendlich kompliziert durch
den ungefügen, schwer zu beherrschenden Ap-
parat des Ausdrucks, durch die Fülle der ver-
schiedenen Rücksichten und überhaupt durch
die gesamten Bedingungen der Arbeit. In beiden
Kunstbereichen laufen die Tendenzen ziemlich
genau parallel. Auch die moderne Szene zeigt
die scharfe Wendung zum Subjektivistischen,
von da aus den Zug zum Typischen, dann zum
Zerfall mit der Gegenständlichkeit und zur
„Entweltung", schließlich zu einem neuen Rea-
lismus, wie er sich in der bildenden Kunst des
Augenblicks anzubahnen scheint. Auch am
Anfang der modernen Bühnenmalerei steht eine
mächtige, schöne Befreiung aus der Gebunden-
heit an ein bloß nachahmendes Verfahren. Auch
ihr sind sehr schätzbare neue Ausdrucksmittel
zugeflossen. Aber auch sie hat die unbehag-
liche Erfahrung machen müssen, daß die eigent-
liche Aufgabe, durch diese Befreiungen und
Erwerbungen zu einer neuen „Wirklichkeit"
vorzustoßen, verfehlt wurde und daß sich durch
den Subjektivismus die Welt gefährlich ver-
dünnt. Und wie die Kunst sich eben rüstet,
die Verdünnung zu reparieren und aus dem
abgesonderten Ich wieder zum Du, zur echten
Begegnung, zur objektiven Dinglichkeit zu kom-
men, so arbeitet auch die moderne Szene daran,
sich von neuem der Wirklichkeit zu erschließen.

Um den Weg, den das moderne Bühnenbild
in den letzten 20—30 Jahren zurückgelegt hat,
kurz zu skizzieren, so ist zunächst zu sagen,
daß alles, was moderne Szene ist, niemals
eine Örtlichkeit buchstabenfreu nachbildet, son-
dern stets illustrativ verfährt. Von da aus
aber spaltet sich ihr Verfahren in eine Unzahl
von verschiedenen Wegen. Sie sucht hier, etwa
bei naturalistischen Stücken, im Zuschauer die
Vorstellung einer bestimmten örtlichkeit
wachzurufen. Das wird überall da geschehen
müssen, wo eine solche bestimmte Ortsvor-
stellung zum Verständnis der Dichtung von-
nöten ist. In anderen Fällen wird eine ideale
Szene aufgebaut, und diese dient dann meist
der symbolischen Charakteristik der
Dichtung oder des subjektiven künstlerischen
Wollens der Regie. Soll die Dichtung charak-
terisiert werden, so sucht die ideale Szene ent-
weder mit dem Stil der Sprache oder mit dem
Stil der Menschenschilderung oder mit Art und
Farbe der gegeneinander streitenden Leiden-
schaften zusammenzugehen. Da kommt im Büh-
nenbild z. B. das innere, zeitlose Wesen der
Dichtung, das „Psychologische" im weitesten
Sinne, zum Ausdruck: die Farben von Strind-
berg-Räumen sind wild, böse und feindlich;
die Architekturen im „Fiesco" sind Gewölbe
von Ehrgeiz, Verschlagenheit und Verschwö-
rung; die Szene von Richard III. malt mit freie-
sten Zügen die selbstgeschaffene Hölle eines
radikal bösen Menschen.

Andrerseits kann das Wesen der Dichtung
Anstoß geben zu einer Charakterisierung gerade

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