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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Schiebelhuth, Hans: Das Sujet als Aufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0360

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FRANZ VON STUCK. MUNCHENER SECESSION IM GLASPALAST 1925. »DREI GOTTINNEN«

DAS SUJET ALS AUFGABE.

John Ruskin kommt einmal an sehr entschei-
dender Stelle in seinen Gedanken über die
europäische Malerei im dritten Band seiner
„Modern Painters" zu einer sehr apodiktischen
Analyse des Begriffs Dekadenz in der Malerei.
Er wertet dort als maßgeblich das Verhältnis
des Schaffenden zum Sujet, seine Grundthese
ist die: „Der Untergang der Kunst beginnt,
wenn die Ktiostler ihre Fähigkeiten demon-
strieren: das Sujet hierzu benutzend; eine Auf-
wärtsbewegung ist solange garantiert, als die
Künstler das Sujet demonstrieren, ihre Fähig-
keiten hierzu benutzend." Dieser schulmeister-
lich-strenge Lehrsatz enthält, auch außer dem
Zusammenhang der Entwicklungsgeschichte be-
trachtet, eine offenbare Wahrheit.

Trotzdem muß zu Ruskins Erkennung ein
Vorbehalt gemacht werden, dahingehend, daß
der reine Darstellungswille zum Sujet hin ent-
scheidend sein kann, aber nicht entscheidend
sein muß. Es gibt nicht nur Weg und Abweg,
die Objektdarstellung ist nicht der einzige Sinn
der künstlerischen Tat, im Schaffensakt kann
es sich ebensogut um ein Demonstrieren der
Fähigkeiten und gleichzeitig des Sujets mit dem
Ziele zum Selbstbekenntnis hin handeln. Ein
Beispiel möge dies beleuchten. Zugestandener-
maßen hat Ruskin durch seine Bekenntnisse

der frühitalienischen Kunst auf die präraffaeli-
tische Bewegung in England einen Einfluß aus-
geübt, wie er mit dem, den unser Winckelmann
durch sein Wissen um die Antike auf die klassi-
zistische gewann, verglichen werden darf. Heute
wird wohl niemand bestreiten, daß — bei allem
Respekt vor seinen Leistungen—derPräraf f aelis-
mus auf willkürlichen Anschauungsgrundlagen
steht und zu dem hinneigt, was man Manier
nennt. Die wunde Stelle ist hier, daß man
sich aus der Moderne um Jahrhunderte zurück-
versetzte, und in Nachahmung mittelalterlicher
Meister, jedoch pädagogisch anstatt wellbe-
dingt, die Objektdarstellung als das letzte, un-
bedingte und einzige Ziel der Gestaltung aner-
kannte, daß man mit anderen Worten, das Per-
sönliche nur als Medium duldete, also nicht
willens war, zuzugeben, daß das Sujet einmal
Mittel und der individuelle Ausdruck einmal
das Ziel sein könne. Wohin eine orthodoxe
Gläubigkeit, ein Anschauen unter lediglich die-
sem Gesichtswinkel leitet, hat niemand besser
als Ruskin selbst aufgezeigt. Er führt an glei-
cher Stelle der vorerwähnten Betrachtung die
Dekadenz der Kunst auf Michelangelo als Wen-
depunkt zurück. Gewiß hat er Recht, darin,
daß für den großen Florentiner die objektive
Sujetdarstellung nicht von letzter Bedeutung
 
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