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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Michel, Wilhelm: Münchener neue Secession: Glaspalast 1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0019

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EDWARD MÜNCH

»ZWEI PFERDE«

MÜNCHENER NEUE SECESSION

GLASPALAST 1926

Gleich dem ganzen Glaspalast empfängt auch
die Ausstellung der Neuen Secession ihr Ge-
präge von den eingesprengten größeren Kollek-
tionen. Die verschiedenen Gruppen haben diese
erste internationale (in München heißt es: all-
gemeine) Ausstellung dazu benutzt, eine Art
Bekenntnis zu ihren Vorbildern und Führern
abzulegen. Die alte Secession hat sich Lieber-
mann, Corinth, Slevogt geholt, die neue Edward
Münch und Van Gogh. Es tritt dadurch
wieder eine wohltuende Individualisierung ein.
Die einzelnen Verbände geben zu erkennen,
woher sie kommen. Man sieht die Schichtung
der Zeiten und Weltanschauungen. Man sieht,
daß die Weltanschauungen in der Kunst nicht
bloß nach dem einfachen Rhythmus Alt-Jung auf
einander folgen, sondern daß jede von ihnen
auch etwas Dauerndes ausdrückt. Die gehalt-
volle Bürgerkunst der alten Secession steht nicht
nur als etwas Älteres, sondern auch als etwas
soziologisch und geistig Anderes, sozusagen
Rassenverschiedenes der Kunst der neuen Se-
cession gegenüber, die trotz aller im einzelnen
bemerkbaren Verflachung von der Tiefenerreg-

ung und dem Tiefenblick ausgeht. Die Prot-
agonisten sind in beiden Lagern dem Alter nach
beinahe gleich. Aber die einen gehören (um die
Dichtung zum Vergleich heranzuziehen) zu Deh-
mel, Hauptmann, Arno Holz, die andern zu
Strindberg, Nietzsche, Hamsun. In die eine wie
in die andere Kunstgesinnung wachsen heute
noch junge Menschen hinein, je nach den Ent-
scheidungen, mit denen sie geboren sind. Ja,
wir sehen heute sogar die „abgelebten" Grup-
pen (wie sie den linken Flügel des Glaspalastes
füllen) in einem neuen Licht. Sie sind die Ent-
sprechungen jenes bürgerlichen Beharrens, das
vielleicht wirklich ein Recht und eine Pflicht
hat, die gefährlichen Dinge „Kunst" und „Geist"
nicht ganz ernst zu nehmen und sich mit dem
Petrefakt zu vergnügen. . . . Die Kollektionen
Van Gogh und Münch streben nicht etwa eine
vollständige Darstellung der Meister an. Sie
sind reichlich lückenhaft, sie mußten sich mit
dem Erreichbaren begnügen, aber sie zeigen
ihren Geist, sie sprechen ihr einmaliges Wort;
sie atmen die Hitze, die Besessenheit und doch
auch die souveräne Menschenkraft aus, mit der
 
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