Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Die Rolle des Irrtums
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0254

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Rolle des Irrtums

walter oi'hev—dusseldorf

nie zur Wahrheit. Das Beschämende liegt viel-
mehr gerade darin, daß die Vernunft ihre Position
nicht halten kann, daß sie zugeben muß: Ja, ich
bin einer Täuschung erlegen, indem ich für Irr-
tum nahm, was in Wirklichkeit kommendes
Leben, kommende Wahrheit war.

Ihr eigentliches Ergebnis aber liefert diese be-
schämende Erfahrung erst dann, wenn sie den
Menschen zur Erkenntnis seiner Grenzen bringt;
vor allem zu jener wichtigen Erkenntnis, daß
jede solche „Beschämung" der Vernunft ein
Stück Welt, ein Stück wertvollste Wirklichkeit
in unseren Geist einarbeitet. Gerade daß die
Vernunft sich an gewissen Erfahrungen stößt,

gemälde »heller tag«

beweist, daß die Vernunft nur einen Teil unseres
Wesens und unserer Welt ausmacht. Alles andre
wird uns als Geschenk zuteil. Unsere Welt wäre
nicht wirkliche Welt, wenn ihr diejenigen Be-
standteile fehlt, vor denen unser Geist zunächst
stutzt. Jedesmal, wenn es nicht nach unserem
Meinen oder Wollen geht, tritt etwas in unser
Leben ein, das uns nährt, weiterbringt und be-
festigt. Wir haben nun einmal nicht die Fülle
des Wahren und Möglichen in uns, deshalb
muß das uns Fehlende von außen in unsre Welt
eindringen. Verwundet es uns, so müssen wir
uns dessen getrösten, daß wir nur durch Ver-
wundungen lernen und weiterkommen. . w. m.

244
 
Annotationen