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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 63.1928-1929

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Hausenstein, Wilhelm: Talent
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https://doi.org/10.11588/diglit.9253#0343

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LOTTE LASERSTEIN

»FR AUEN-PORTRÄT«

TALENT

VON DR. WILHELM HAUSENSTEIN

Das gemeine Urteil sagt: in der Kunst sei
Talent alles; es handle sich um Talent
und um nichts anderes (wenn es sich nämlich
nicht geradezu um Genie handle).

Das Urteil ist zu billig. Auch dann, wenn
Kunst noch weit davon entfernt ist, genial zu
sein, ist sie — sofern sie überhaupt wesentlich
genannt werden kann — mehr als Talent.

Talent ist für den Künstler eine Voraus-
setzung, gewiß, und wahrscheinlich sogar die
allernächste. Man kann auch sagen: es ist eine
Cbance. Man kann auch sagen: es ist eine Ver-
lockung. Das Auge blickt und begreift; die
Hand geht leicht; Auge und Hand sind rasch
bereit, sich zu beweisen . . . Aber man kann
auch sagen: Talent, das leichte Gehn der Hand,
das schnell begreifende und ins Bildhafte um-
setzende Auge, ist eine Gefahr — ist eine Hy-
pothek auf dem Weg des Talents zum gültigen
Kunstwerk. — Wieso?

Wer sich, ob Maler und Zeichner, ob Bild-
hauer, Architekt, Dichter, Sänger, Komponist
oder Schauspieler, raschhin dem offenbaren
Talent überläßt, kommt leicht dorthin, wo das
Talent, von sich selbst gleichsam bestochen, sich
an sich selbst abspielt. Wo das Talent diesen
Weg macht, gleicht es dem Schiff, das ohne

Fracht fährt. Es ist ein hübsches Schiff; die
Segel stehn reizend und blähen sich im Wind;
das Schiff zieht eine Kurve. Aber es ist im ge-
fährlichen Augenblick ein Schiff ohne Wider-
stand, weil es ein Schiff ohne Schwere und also
ohne „Tiefgang" ist. Mit der Kunstsprache zu
reden: das Talent gleicht, wollend oder nicht
wollend, dem peinlichen l'art pour l'art.

Tiefgang also ist nötig; Fracht ist nötig: der
Tiefgang des Menschlichen, die Fracht des Her-
zens. Talent ist Werkzeug; entbehrt es der
Fracht und des Tiefgangs, so macht es sich zum
Zweck, wo es doch nur ein Werkzeug sein
kann. 0 begreiflich, daß nicht jeder dies Ver-
hältnis einsieht! Ein Talent, das sich „abspielt",
nämlich als Talent, rein an sich selbst, ist immer
noch ein blendendes Schauspiel; die Verführung,
es aufzuführen, das Gelüst, es anzusehen, ist
lebhaft! Aber damit ändeit sich am echten
Verhältnis der Dinge nichts. Ein Talent ohne
Beschwerung aus dem Menschlichen wird auf
die Dauer auch dann langweilen und verstim-
men, wenn es verblüfft. Erst die Verbindung
mit dem Menschlichen, erst der Dienst des
Talentes im Zeichen des Herzens gibt dem
Talent Dichtigkeit — gibt ihm Wesen.
— Umgekehrt: das Menschliche, das seinen

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XXXII. Februar 1M9. 4
 
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