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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 65.1929-1930

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Franz Masereel
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https://doi.org/10.11588/diglit.9252#0309

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FRANS MASEREEL—PARIS

»HAUSER AM STRANDc

FRANS MASEREEL

VON G. F. HARTLAUB

Wer den Namen Frans Masereel hört, der
denkt zunächst an jene „Romane in
Bildern", jene handlichen kleinen Bücher, deren
Seiten so gedrängt voll von erregendem Schick-
sal, von uns alle angehendem Erleben sind : an
das „Stundenbuch", an „die Sonne", die „Idee",
dann aber auch an Bildfolgen wie „die Toten
reden" oder die „25 Bilder vom Leiden eines
Menschen" sowie an die vielen Tuschzeich-
nungen und Aquarelle, mit denen der Künstler
in der Kriegs- und ersten Nachkriegszeit seine
Qual und seinen Grimm in die Welt hinaus-
schrie. Wer den Namen Masereel vernimmt,
dem erscheint im Geist, gleichsam wie ein alles
zusammenfassendes Symbol, ein ungeheures,
niemals endendes Bilderbuch des Lebens, un-
seres Lebens, das doch bei aller scheinbaren
Nüchternheit und Brutalität der Maschinenzeit
an Phantastik und an Geheimnis den Märchen
und Sagen der Urzeit kaum nachsteht.

Masereel ist denen, die ihn kennen, einer
der großen Parteiführer des Menschen und der
Menschlichkeit gegen alle Gewalten und Mächte
des Todes. Das äußere Schicksal Masereels
entspricht dem, was die geistige Haltung seiner

Kunst vermuten läßt. Gehörte er doch zu
denen, die auch im Kriege an der „Internatio-
nale des Geistes" festhielten. War er doch
unter jener kleinen Gruppe von echten Frei-
heits- und Friedensfreunden, die in das Schwei-
zer Exil geflüchtet waren und hier die geistigen
Waffen gegen Völkermord und gegen die töd-
liche Geistesverwirrung der Nationen vorbe-
reitete: er, Masereel, und mit ihm ein Romain
Rolland, ein Jouve und nicht zuletzt auch jener
führende Architekt und geistige Bahnbrecher
der Vorkriegszeit, Henry van de Velde. Waffen
waren es, welche die einen als Schriftsteller,
Masereel aber als Zeichner und Graphiker gegen
die Zeit und ihren Wahn schmiedeten, und in
der Tat, die zahlreichen anklagenden Blätter
der Zeitschrift „LaFeuille", die damals Masereel
in der Schweiz losflattern ließ, haben die Geister
Europas erreicht wie geistige Flugzeuge; ver-
borgen und unsichtbar vermochten sie das unter-
bewußte Gewissen Europas gewaltig zu treffen
wie Unterseeboote des Gedankens.

Die Mannheimer Ausstellung des „Gesam-
melten Werkes" zeigte noch einen anderen Ma-
sereel als den Zeichner großstädtischer Gesichte,

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