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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 65.1929-1930

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Gottlieb, Aurelie: Jules Pascin
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Brattskoven, Otto: Hermann Huber - Zürich
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https://doi.org/10.11588/diglit.9252#0402

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Jules Pascin

Ausgedrückt wird diese Einstellung nun so,
daß all diese Kompositionen vorwiegend nur
zeichnerisch behandelt sind und dazu nur auf
Bewegung und Ausdruck hin, mit vollständiger
Hintansetzung jeder Körperhaftigkeit. Dadurch,
daß außerdem jede Angabe eines Wo und Wann
fehlt, daß also die Figuren ohne jeden Hinter-
grund dargestellt, ganz einfach auf die leere
Fläche des Blattes hingeworfen sind, und zwar
in einer Anordnung, die jedes logischen, ge-
schweige denn realistischen Sinnes entbehrt
und bloß einem musikalischen Rhythmus folgt,
sind diese Werke gewissermaßen entmateria-
lisiert. Ihre Leichtigkeit nimmt ihnen all ihre
Schlüpfrigkeit. So wie sie sind, wirken sie als
Einfall, als geistreiche Form.

Nicht weniger ausdrucksreich und in ihrer
Einfachheit raffiniert ist die Technik in Pascins
Gemälden. Es sind dies meistens Akte. Doch
handelt es sich hier nicht um Formstudien oder
Beherrschung des Volumens. Die altherge-
brachte Trennung zwischen Kopf und Körper,
die jenen zum Gegenstand des Porträts und
aus diesem eine Art Stilleben gestaltet haben
will, ist hier aufgehoben. Pascins Körper sind
ausdrucksvoll, wie es sonst nur Gesichter zu
sein pflegen. Sie erst machen die Bildnisse voll-
ständig. Denn an ihnen, an denen sich des
Lebens Schicksal erfüllt, glaubt er, sind einmal

die Hüllen der Kleider gefallen, dieses Schick-
sal auch unverfälscht ablesen zu können.

Und hier nun, wo es nicht mehr sorgsame
Masken herunterzureißen gilt, wo er entblößt
die Wahrheit vor Augen hat, ist von Lustigkeit
keine Spur mehr. Gezeichnete scheinen alle
diese Menschen zu sein; die welken, voller-
blühten und ebenso die jungen, knospenhaften.
Dem Geschlechte sind sie versklavt, der ein-
zigen Macht, von der der Künstler kein Ent-
rinnen sieht. Opfer des Lebens sind sie. Natur-
haft. Jenseits von jeder Schuld. Wie Blumen.
Rein, reizvoll, wo sie auch blühen, woher sie
auch ihre Säfte ziehen mögen.

Die Zartheit, mit der das Geheimnis dieser
sinnlich unsinnlichen Körper wiedergegeben ist,
die — gegen alle Tendenzen zeitgenössischer
Malerei — hauchartig aufgetragenen Farben,
die sich in Tönen bewegen, in die sonst roman-
tische Dichter keusche Träume hüllen, die leuch-
tenden oder welken, doch immer diskreten
Akkorde weben um diese Bilder einen unver-
geßlichen Zauber von Wehmut, Zärtlichkeit und
mitfühlender Liebe. Denn hinter dem Schalk,
der tolle Witze reißt, steckt, wie so oft, auch
diesmal ein trauriger Poet. Zu traurig, zu resig-
niert und zu schamhaft, um anders, denn ver-
hüllt seine Traurigkeit zu äußern. Heinrich
Heines naher Verwandter. . aurelle gottlieb.

HERMANN HUBER -ZÜRICH

Das erste Bekanntwerden des in Zürich be-
heimateten Malers Hermann Huber
reicht in das Jahr 1913 zurück, als der „Sturm"
in Berlin seinen „Ersten deutschen Herbstsalon"
zeigte. — Inmitten einer Schar von Neuerern,
von denen nur wenige ihre radikale, die bis-
herige Formenwelt umwälzende Problemstell-
ung im Sinne einer sicheren Entwicklungsten-
denz auszubauen vermochten, präsentiert sich
Huber mit einigen Gemälden als ein ausgespro-
chen lyrisches Talent. Die zu jener Zeit als
Bild 1, 2 und 3 bezeichneten Arbeiten lassen
dieses Charakteristikum deutlich erkennen.
Trotz allen expressiven und betont statischen
Aufbaus ist der Gestus der Figuren unmißver-
ständlich, ein verträumtes Verharren wirkt als
stärkstes Merkmal. Von diesen Anfängen aus
hat der Künstler dann seine Eigenart folge-
richtig vertieft und erweitert. Neben handfesten
Naturstudien und graphischen Bemühungen ver-
schiedener Art bleibt das lyrisch gestimmte
Gemälde stets vorherrschend. Besonders in

einigen neueren Arbeiten größeren Formats,
von denen die „Gruppe im Boot" als eine
bezeichnende Probe auf der folgenden Seite
wiedergegeben ist, wird dies augenscheinlich.
Das früher auf wenige Akzente verteilte Füllen
der Bildfläche ist jetzt einer malerischen Viel-
heit und Vibration gewichen, voll einer sehr
frischen und hell angelegten Tonführung, ohne
gleichwie geartete Unruhe aufkommen zu lassen.
Zweifellos hat Huber dabei etliche Anregungen
gallischen Wohlklangs säuberlich in seine Far-
benskala übernommen, die Haltung aber, die
er seinen Gestalten gibt, spricht wiederum für
seine über das rein Formale hinausgehende
lyrische Beschwingtheit, die nunmehr noch ein
arkadisches Empfinden deutlich werden läßt.
Sein Landsmann Salomon Gessner hat deshalb
wohl in ihm einen heutigen Nachfolger gefunden,
der das Schwärmen in glücklichen Stimmungs-
welten wieder aufgenommen hat, dabei mit Mit-
teln, die als zeitgemäße Ausdrucksformen nicht
hintenan gesetzt werden. . . otto brattskoven.
 
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