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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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Michel, Wilhelm: Arbeiten von Marie Laurencin
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Nemitz, Fritz: Persönlichkeit und Richtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0154

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Arbeiten von Marie laurencin

PERSÖNLICHKEIT UND RICHTUNG

von dr. fritz nemitz

Der Verstand liebt es, die Erscheinungs-
formen des Lebens in Klassen einzu-
teilen, sie zu vereinfachen, auf einen ge-
meinsamen Nenner zu bringen. Auch der
Kunst gegenüber wird dieses Verfahren
angewandt und die Vielfältigkeit der Pro-
duktion nach verschiedenen „Richtungen"
gesondert. In der jüngsten Vergangenheit
gab es in der bildenden Kunst einige zwan-
zig verschiedene Richtungen und Ismen.
Von ihnen sind aber nur sehr wenige übrig-
geblieben; die meisten Schlagworte sind
vergessen. Geblieben ist nur das, was über
die einzelnen Richtungen hinaus an Per-
sönlichkeitwerten da war.

Persönlichkeit und Richtung stehen also
in keinem ursächlichen Zusammenhange.
Wohl gibt es gewisse Beziehungen und
Berührungspunkte zwischen beiden, doch
sind sie mehr zufälliger Art, und im Augen-
blick, wo das Programm einer Richtung die
künstlerischen Gesetze der Persönlichkeit
einzuengen droht, wird sie sich der aufge-
legten Schranken erledigen.

Die Zugehörigkeit zu einer Richtung sagt
nichts über die Qualität der Leistung aus,
auf die es immer und überall ankommt.

marie laurf.n'cin. >mädchen mit püdel«

Kinderblick durch alle äußeren und inneren
Wandlungen ihrer Kunst festgehalten. Ich
sah vor langen Jahren bei Marie Laurencin
ein Mädchenköpfchen aus ihrer Schülerzeit;
es war genau dasselbe Lächeln darin wie bei
ihren späteren Arbeiten. Die Mache hat
gewechselt, aber diese innere Zartheit, diese
Blumenhaftigkeit ist ihr geblieben.

Es gibt eine Tendenz in alter und neuer
Kunst, das spezifisch leichte, unbeschwerte,
unbegriffliche Erscheinen der Dinge zu zei-
gen. Es ist jene Tendenz, in der die Wesen
und Sachen gleichsam transparent werden
und, statt in den Fesseln der Schwerkraft
zu bleiben, einen geistigen Auftrieb bekom-
men, ein paradiesisches Schweben, das ans
Traumhafte streift, und eine Unschuld, die
gleichsam vor dem Sündenfall des Bewußt-
seins liegt. Man sieht diese Tendenz wirksam
in persischen und indischen Miniaturen. Man
sieht sie in den besten chinesischen Land-
schaften, man sieht sie bei Odilon Redon, bei
Cezanne, bei Paul Klee. Von ihr hat auch die
Kunst der Marie Laurencin ihr kleines, aber
reines und klares Leben. Wilhelm michel.

marie laurencin—paris. »blumen und vogel«
 
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