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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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S., O.: Das "Objekt" im Bilde
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0360

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DAS „OBJEKT" IM BILDE

„ . . . man kann beim Malen das Objekt, d. h.
den Gegenstand, den man malt, auf zweierlei
Art und Weise fühlen. Einmal als etwas durch-
aus Wesentliches, unter Umständen sogar Be-
stimmendes, dem man dient, das man umwirbt,
zum andern als unwesentlichen Anlaß zum Ent-
falten eigener Rhythmen, deren Träger die
Objekte lediglich sind. Das was man so gemein-
hin Expressionismus nennt, folgt in der Regel
der zweiten Linie. Daher der Name. Das ist ja
alles eine bekannte Sache. Akut wird die Sache
für mich in meiner eigenen Malerei dadurch,
daß ich eine durchaus zwiespältige Stellung habe.
Auf der einen Seite sagen mir die Dinge, die
Objekte, die ich darstelle, sehr viel; auf der
andern ist mir das Bild Tummelplatz für meine
oft ganz musikalisch (dynamisch oder harmo-
nisch) durchaus persönlichsten Rhythmen. Um
die beiden auseinanderstrebenden Kräfte zu-
sammenzuhalten, und einem Werke dienstbar
zu machen, würde eine enorme Kraft gehören,
die auch nur durch Kenntnis aller Gefahren
und der verstandesgemäßen Ausnutzung aller
Mittel zum Ziel kommen kann. Dies Ziel ist
ungefähr das, was ich immer klarer erkenne
und mir stecke. (Das klingt ein bißchen groß-
artig!) Die besondere Schwierigkeit, es zu er-
reichen, liegt in Folgendem. Beispiel: ich will
Blumen malen, die mich als Mensch und
Künstler ergreifen und zur Gestaltung reizen.
Dann male ich die Blumen so, wie ich sie emp-
finde, wobei die Blumen natürlich als Objekt
tonangebend sind. Das Gefühl bedingt bis zu
hohem Grade als einzige Ausdrucksmöglichkeit
(und Darstellungsmöglichkeit; die beiden Be-
griffe decken sich bei objektiver Malerei in ge-
wissem Sinn) das Benutzen der sichtbaren
Formen, wie sie das Objekt mir bietet. Ich
werde die Blumen (gewissermaßen natürlich nur
— no Photographie imitation — Du verstehst -)
also so malen müssen, wie sie aussehen. Da-
mit ist mein künstlerisches Gefühl den Blumen
gegenüber befriedigt, die erste Linie zu Ende
geführt. Aber das andere Bedürfnis, in dem
Bild seine eigenen, mehr formalen Rhythmen
loszuwerden, tritt dazu. Der Anblick der
Blumen hat in mir nicht nur mein Gefühl für
diese erweckt, sondern auch den Drang, mit
den sichtbaren Formen nun zu spielen, sie in
der Phantasie auszugestalten, sie mir anzu-
passen und sie durch eigenen freien Rhythmus
zu erweitern und so zu „benutzen". Dieser
Drang, der dem Objekt eben feindlich ist, ver-

langt aber vom Künstler ebenso Befriedigung
wie der objektive. Mir ist es oft so gegangen
und geht mir heute noch so, daß ich ein Bild,
das „objektiv" fertig war, nun in „meinem"
Sinn umgestaltet habe, mich (d. h. meinen Drang
nach freier Formäußerung) befriedigt, aber mein
objektives Empfinden dabei geknebelt habe.
Es streiten sich also sagen wir mal (sehr kühn!)
Max Liebermann und Max Ernst in mir. Ich
halte eine prinzipielle Vereinigung (nicht eklek-
tisch organisch) für möglich. Aber dahin ist
ein weiter Weg. Wie der Weg ist, darüber
muß ich ein andermal schreiben. Weil ich alles
so klar sehe, bin ich auch so vorsichtig, und
überlege jeden Strich in einem Bild siebenmal.
Und dahinter brodelt das Temperament. Und
das Resultat ist gequält. Aber ich hoffe auf
das Freie und Leichte : Schubert! — das man
freilich nur durch viel Arbeit kriegen kann. . . ."

Als dies geschrieben wurde —• wir fanden
es in den Briefen des jung verstorbenen Malers
Paul Adolf Seehaus (Brief vom28.III. 17.), die
Paul Ortwin Rave soeben im Verlag Friedrich
Cohen, Bonn, herausgegeben hat —, da gärte
der „Expressionismus" seinem höchsten Aus-
druck entgegen. Und doch sind die obigen
Äußerungen keineswegs auf eine „Richtung"
fixiert. Sie behandeln, umfassender als es in
den sehr persönlich gehaltenen Worten des
jungen Malers zum Ausdruck kommt, ein Grund-
problem aller Malerei, alles anschaulichen Bil-
dens. Aber erst, wenn ein Schaffender bewußt
mit ihm ringt, bekommt es die Eindringlichkeit
und Schärfe, die nie verloren gehen darf, soll
„Kunst" im Geistigen verankert sein. Uns
schien, man müsse gerade heute solche Über-
legungen wieder ins Gedächtnis der Schaffenden
und auch der Aufnehmenden zurückrufen, o. s.


FORTSCHRITT UND RÜCKFALL. Der zivi-
lisierte Mensch der Riesenstädte lebt wieder
im Zustand des primitiven, d. h. des isolierten
Menschen, weil der soziale Mechanismus ihm
erlaubt, die Notwendigkeit der Gemeinschaft
zu vergessen, und ihm so das Gefühl des Zu-
sammenhangs zwischen den Einzelnen, wie es
früher unablässig durch die Not geweckt wurde,
schwindet. Durch jede Vervollkommnung des
sozialen Mechanismus werden gewisse Hand-
lungen, Empfindungsarten, Anlagen zum Leben
in der Gemeinschaft entbehrlich. — Die Welt
hat nur durch die Extreme Wert und nur durch
das Durchschnittliche Bestand. paul valery.
 
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