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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Niebelschütz, Ernst von: Der Künstler und sein Modell
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0048

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Der Künstler und sein Modell

NAPOLEONE MARTINUZZI—MURANO »NYMPHEN« POSTGEBÄUDE FERRARA

DER KÜNSTLER UND SEIN MODELL

VON ERNST VON NIEBELSCHÜTZ

In der allgemeinen Anschauung ist das Modell
feminini generis, obschon jeder weiß, daß
der Begriff „Modell" alles Sichtbare umfaßt und
in unserer Sprache nicht ohne Grund als Neu-
trum geführt wird. Aber vom Neutrum zu reden
ist langweilig. Was geht uns der Feldblumen-
strauß an, der Thoma zu einem unsterblichen
Bilde Modell gestanden hat? Wir glauben zu
wissen, daß er nach kurzem Gebrauch in der
Gosse geendet ist. Das kann dem weiblichen
Modell nun allerdings auch passieren, und die
Kunstgeschichte kann ja leider mit einer ganzen
Reihe solcher Erniedrigungen aufwarten. Allein
der Weg vom Atelier zur Gosse ist hier zweifellos
interessanter und unserer menschlichen Teil-
nahme gewisser als der des armen Blumen-
straußes. Auch braucht es ja nicht immer der
Rinnstein zu sein. Es geht oft ganz anders zu
als in Murgers „Boheme", wo Grisette und
Aktmodell identisch sind und das Ende immer
die große Enttäuschung ist. Auch Fälle des
Aufstiegs, ja unerhörten Glanzes kommen vor,
und selbst wo die Sache schief abläuft, bleibt
doch immer etwas vom Ruhme des großen
Künstlers auch an dessen Modellen haften.
Was wüßten wir heute noch von Phryne, der
griechischen Hetäre, hätte der Meißel des
Praxiteles sie in der knidischen Aphrodite nicht
zum Range einer Göttin erhoben, was von
Nanna, der römischen Schustersfrau, wäre sie
in Feuerbachs Bildern nicht unsterblich ge-
worden? Auch für sie gilt, was Goethe in der
„Euphrosyne" von den Figuren der Dichtung sagt:

Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneias
Reiche, massenweis, Schatten vom Namen getrennt.
Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet,
Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu.

Es wäre frivol, diesen Vers zu zitieren, dächte
man dabei an Modelle, die auf ihren Zufalls-
käufer warten. Nur an die einzigen und
wenigen denken wir, deren Schönheit sich gleich
einer befruchtenden Gottheit mit einem großen
Künstlerdasein verband, nicht zufällig, sondern
kraft eines hohen Schicksalsspruches, der unbe-
dingten Gehorsam fordert. Gewöhnlich macht
man sich ja ganz irrige Vorstellungen von der Zu-
sammengehörigkeit eines bestimmten Künstlers
und eines bestimmten Modells. Man meint,
dem Künstler stünde es frei, diese oder jene zu
nehmen, er habe unter vielen Möglichkeiten
die Wahl. So ist es gewiß nicht. Das Modell
lebt längst in ihm, bevor es ihm in einer
glücklichen Stunde leibhaft entgegentritt: in
seiner Einbildungskraft, in seiner produktiven
Vorstellung, die der Wirklichkeit immer vor-
greifen, aber auch zwangsläufig haltmachen
wird, wenn ihr die Natur einmal das antwortende
Gegenbild liefert. Es ist nicht so paradox, wie
es klingt, wenn ich sage, Rubens habe seine
Helene Fourment gemalt lange ehe er sie zum
ersten Male gesehen. Als er sie zum Modell
und zur Frau nahm, geschah es ja nur darum,
weil sie die sinnliche Bestätigung alles dessen
war, was er als Inbegriff vlämischer Rassen-
schönheit geistig in sich trug. Und so ist es bei
allen großen Künstlern. Keiner malt das Modell
 
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