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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Neugass, Fritz: Camille Pissarro
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Habicht: Konservieren oder Neubauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0163

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Camille Pissarro

Beziehung zur Landschaft. Das Erdreich, das
Gebüsch und die Baumstämme sind noch stark
in der Materie befangen. Die Patenschaft Cour-
bets ist hier unleugbar vorhanden.

Viel freier und persönlicher ist bereits die
„Straße in Louveciennes" von 1872. Das Stoff-
liche tritt schon viel mehr zurück, das Licht
und die Atmosphäre werden stärker betont.
Der Himmel und die Tiefe gewinnen an Raum
und die Farbwerte betonen nicht mehr den
Gegenstand, sondern klingen zusammen in dem
Spiel von Licht und Schatten.

Der Impressionismus trat in diesen Bildern
schon völlig in Erscheinung und alle Künstler
aus diesem Kreise verfolgten die gleichen Ziele.
Da sie alle untereinander befreundet waren,
war es selbstverständlich, daß sie sich gegen-
seitig beeinflußten. Pissarro war eine stark
rezeptive Natur und wußte die verschiedenen
Feinheiten der Anderen sich anzueignen und
seinem eigenen Wesen zu verschmelzen. Doch
niemals verlor er seinen eigenen Charakter
und seine Handschrift. Nach einem Aufent-
halt in London verspürt man englische Ein-
flüsse in seinen Bildern. Dann finden wir die
warmen satten Töne von Manets Palette in
seinem „Hausmädchen" von 1874. Das Ergeb-
nis gemeinsamer Arbeit mit Cezanne — in
Auvers 1873 — zeigt eine neue Festigung der
Form und eine Bevorzugung von grauen und
blauen Tönen. Die „Unterhaltung" von 1874
bezeichnet die Grenzen, die sich Pissarro in
der Auswertung fremden Gutes gezogen hat.
Noch zwei Jahre später erkennt man in dem
Bilde „Hermitage" die tiefgehende Wirkung,
die Cezanne auf seinen Freund ausgeübt hat.
Die bereits 1872 gefundene Freiheit der Kon-

zeption wurde durch diese Begegnung wieder
zugunsten einer strengeren Komposition zu-
rückgedrängt, um später allerdings in weit stär-
kerem Maße durchzubrechen. Seine Bilder
werden immer reicher, duftiger und leuchten-
der, von einer höchst delikaten Farbgebung
und einer bezaubernden Freiheit und Leichtig-
keit seiner Handschrift. Renoir vermittelt ihm
ein zartes Blau und Rosa, das er als subtile
Valeurs auf die Hauptakzente verteilt.

Gegen Ende der 80 er Jahre begeisterte sich
Pissarro für den Pointiiiismus und begann für
einige Jahre ä la Seurat zu malen. Seine
„Erbsenstangen setzenden Frauen" von 1891
sind ein letzter Ausdruck dieser neo-impressio-
nistischen Versuche. Doch bald verschmolz er
wieder seine Farben und kehrte zu seinem
eigenen Stil zurück, nicht ohne daß seine Pa-
lette noch heller und leuchtender geworden ist.

Es folgt die große Reihe der Städtebilder,
die der Meister in Paris und auf seinen vielen
Reisen geschaffen und in der er seine höchste
Form und letzte Freiheit gefunden hat.

Trotz der überaus reichen Auswahl seiner
Werke, die in dieser Ausstellung zusammen-
gebracht wurde, fehlten einige wesentliche
Bilder, die seine hohe Meisterschaft hätten be-
zeugen können. Aber die zahlreichen kleine-
ren Bilder, zu denen bisweilen noch die Skiz-
zen und Vorstudien vorhanden waren, führten
uns durch alle Epochen seines Schaffens und
bewiesen uns die vielspältigen Einflüsse, die
er aufgenommen und verarbeitet hatte. Einer
künstlerischen Erscheinung von höchstem Reiz
und unerschütterlicher Ehrlichkeit wurde in der
Jahrhundert-Ausstellung seiner Werke ein wür-
diges Denkmal gesetzt..... dr. fritz neuqass.

KONSERVIEREN ODER NEUBAUEN

Im Mittelpunkte der diesjährigen Tagung für
Denkmalpflege und Heimatschutz (16. - 20. 9.
in Köln) stand die Frage der Erhaltung des
Kölner Domes. Dabei kamen die alten Gegen-
sätze der Ansichten, ob Konservieren oder Neu-
gestalten angebrachter sei, wieder lebhaft zur
Sprache. Da es uns hier nicht auf einen Bericht,
sondern auf die Erörterung der prinzipiellen
Frage ankommt, genügt es festzustellen, daß die
Argumente der sog. „Jungen" oft verlockend
überzeugend klangen, wobei aber doch der Sieg
der Ansicht des Konservierenmüssens trotz
mangelnder Ablehnung der gegenteiligen Ein-
wände als durchaus berechtigt empfunden
wurde. Die dialektische Unentschiedenheit soll
hier durch ein Zuendedenken der Forderung der
„Jungen" einer Klärung näher gebracht werden.

Bei vorurteilsloser Einstellung war man zu-
nächst allgemein stark geneigt, der Ansicht
zuzustimmen, daß „der Lebende Recht habe",
d. h. unsere Zeit — so gut wie jede andere —
nicht nur den Anspruch, sondern sogar die Ver-
pflichtung habe, ihren Lebensbedürfnissen for-
malen Ausdruck zu geben. Die Verwirklichung
dieser Pläne fand im Verhalten der Vergangen-
heit eine sehr wesentliche Stütze, und es wurde
mitRecht darauf verwiesen, daß etwa derBarock
Portale, Türme oder noch größere Teile an go-
tischen Bauten in seinem Stile — und durchaus
nicht zum Schaden des Ganzen — neuerrichtet
habe. Bei einiger Kühnheit der Vorstellung
würde das darauf hinauslaufen, daß man etwa
den Chor des Kölner Domes in einer Bauform
unserer Zeit neubauen könne.
 
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