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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Wenzel, Alfred: Mehrerlei Einfachheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0210

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email-arbeiten: johanna und emil meier. tablett: anton novopacky— wien

MEHRERLEI EINFACHHEIT

Einfachheit der Form kann sich einmal aus
Armut an materiellen Mitteln ergeben.
Die materielle Armut führt zu notgedrungener
Schlichtheit, zu Einfachheit als Verzicht.

Dann gibt es eine Einfachheit aus innerer
Armut; sie bedeutet nicht Verzicht auf Dinge, die
man wohl gestalten wollte, sondern ein Sichbe-
schränken auf das Schlichte aus mangelndem
Formvermögen und aus Impulslosigkeit. Innere
Armut zeugt Einfachheit als Nüchternheit,
allenfalls mit einem Schuß Resignation versehen.

Sind diese beiden Formen der einfachen Ge-
stallung in ihren Gründen zwangsmäßig bedingt,
so gibt es daneben auch die Einfachheit als
selbstgewollte Enthaltung: jene in der Regel
bewußtseinsgetragene Einstellung zur Form,
wie wir sie als Reaktionsphänomen ken-
nen. Solche Einfachheit der Enthaltung folgt
auf Perioden formaler Überladenheit, als Pen-
delschlag nach der anderen Seite hin, als großes
Säubern, Glätten, Reinigen. In diesem Fall ist
Einfachheit immer: Vereinfachung, Reduk-
tion zur schmucklosen Form, radikales Subtra-
hieren. Deshalb haftet solcher Formgebung
auch immer etwas Übergangsmäßiges an; jeder
„Purismus" hat etwas Leeres, Pausenhaftes an
sich, ist aber auch voll einer gewissen Spannung:
die Einfachheit dieser Art ist gleichzeitig Zäsur
und Atemholen zwischen zwei Phasen.
*

Dies sind drei verschiedene Formen „ein-
facher" Gestaltung. In verschiedenen Gründen
wurzelnd, ergeben sie auch verschiedene Ge-

stalt. Jeder halbwegs empfindliche Sinn nimmt
leicht die Unterschiede wahr, die hier aufge-
wiesen sind. Ein empfindlicher Sinn wird aber
auch unschwer erkennen: daß die Einfachheit
unserer heutigen Formen — der Wohnform
schlechthin etwa — keine von diesen dreien ist.
*

Es gibt noch eine Einfachheit, die weder aus
einer Armut des inneren Formvermögens, noch
aus der Beschränktheit materieller Mittel, noch
auch aus der Übersättigung am Reichen ent-
springt, — die vielmehr aus einer inneren
Fülle heraus als die Ruhe des Umgebenden
verlangt wird: als gewissermaßen neutrale At-
mosphäre. Einer vielartig reichen Innerlich-
keit bedeutet der formale Reichtum äußerer
Umgebung, der in sich stets ein Einheitliches
und fest Zusammengeschlossenes darstellt,
mehr Festlegung als Anregung; darum wird die
neutrale Einfachheit vorgezogen.

Die Kraft zur Formung äußert sich bei solcher
inneren Verfassung nicht im Produzieren einer
besonders reichhaltigen „Formensprache" —
im Schmücken, im Immer - wieder - anders-
schmücken gleichbleibender Grundformen etwa
— sondern im Durch-formen, im immer wieder
geübten Neu-durch-formen verhältnismäßig
weniger Elemente, deren funktionelle Bedeut-
samkeit erkannt wurde.

Es erfolgt eine dauernde, immer wieder von
den Wurzeln her beginnende Beschäftigung
mit den ganzen Dingen, deren Oberfläche
freilich glatt bleibt...... dr. alfred wenzel.
 
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