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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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H.Sch.: Schau und Verwirklichung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0222

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SCHAU UND VERWIRKLICHUNG.
Jedem Künstler eignet etwas vom Urblick,
eine gewisse Hellsichtigkeit vor dem Wesen der
Welt und der Dinge; von der Vision gebannt
arbeitet er, um die Vision zu bannen. Ohne
Schau ist noch nie ein Kunstwerk zustande ge-
kommen. Das freie Spiel der Einbildungskräfte
geht der gewollten Darstellung und Durchfor-
mung im jeweiligen Kunstmittel voraus und be-
gleitet sie. Herr der Lage, das heißt Meister,
wird der, der am besessensten an die Dar-
leibung der Vision glauben und am tiefsten an
der letzten Gültigkeit der Vollbringung zweifeln
muß. Schöpferische Arbeit geschieht aus einer
latenten Spannung zwischen Schau und Ver-
wirklichung; der Schaffende fühlt sich zum
tätigen Dienst am Denkbild verpflichtet; er
spürt den „Stachel im Herzen", jenen Ehrgeiz,
der ihn zur reinen Bewahrung des Göttlichen
in der Gestalt treibt. Sein Wirken wird jene
ständig dauernde Prüfung.

Gewiß gibt es Kunstwerke, die ganz in der
nachtwandlerischen Sicherheit des Visionären
geworden sind. Sie sind selten. Künstler, die
Form und Gehalt ihrer Werke zuerst mit völli-

ger Eindringlichkeit und Deutlichkeit in der
Schau erleben, haben gewöhnlich am schwersten
mit der Darstellung zu ringen. Jeder Schaffende
glaubt, daß er gelegentlich die Dinge schöner
geschaut, reiner empfangen, tiefer empfunden
hat, als sie wahrzumachen ihm gelang. Am
häufigsten aber wird wohl die Erfahrung ge-
macht, daß sich das anfangs vage und ungewisse
Grunderlebnis erst während der Arbeit erhellt
und im Faßbaren erstellt, daß sich das schöne
Gebilde aus einem Meer von Tönen, Farben,
Formen zusehends zur Klarheit durchringt. Die
Schau mag nun das von vornherein Zwingende
oder das vom Künstler während des Schaffens
erzwungene „geistige Gesicht" sein, der schöp-
ferische Mensch ist an sie gehalten. Er kommt
ohne diese „Eingebung", diese „Gnade" nicht
aus. Er weiß, daß die ersten und letzten Ent-
scheidungen über das Was und Wie eines Werks,
sein Zustandekommen und seine Lebensträch-
tigkeit, eben an jenen Quellorten des Intuitiven
fallen. Alle grundsätzlichen Mängel, alle Vor-
züge eines Kunstwerks sind Mängel und Vor-
züge der Konzeption; aus unklar Geschautem
kann nie ein klares Bild kommen.....h. sch.

W. A. HABLIK »FALKE« MESSING, VERGOLDET

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