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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Schürer, Oskar: Die Kunst geht nach Brot
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L., R.: Sprache der Kunst und Ursymbolik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0250

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Die Kunst geht nach Brot

sinn, der aller „Künstlerunterstützung" eigen
ist, drückt den Stand als solchen nieder.

Was dem Künstlertum von heute in erhöhtem
Maße nottut, ist Würde, ist innere Zucht. Die
Hinwendung zum verantwortungsbewußten Ar-
beitertum erzieht zu solcher Würde. Wir dürfen
Lessings Prinzen noch einmal sprechen lassen:
„Ich meine nicht Vieles, sondern viel; ein
Weniges, aber mit Fleiß." Schauen wir uns die
heutigen Ausstellungen an. Wie Vieles wird
da gemacht und ausgestellt, und doch: wie
Weniges mit jenem anspruchslosen Fleiß, der
innere Zucht verrät. Es ist erschreckend, in
welcher gefährlichen Selbsttäuschung die Mehr-
zahl der Künstler heule noch lebt. Nicht nur
die Frage „Für wen?" taucht vor solchen Bilder-
ansammlungen auf, sondern vor allem die Frage:
„Warum und wozu?" Griffe wirkliche innere
Zucht in die breiten Massen heutigen Künstler-
tums ein, — es hinge weniger in den Ausstel-
lungen, aber Besseres. Der Künstlerstand selbst
sollte sich strenger beurteilen!

Und was kann von außen geschehen? Nicht
mit Ausstellungspropaganda, mit öffentlichen

Ankäufen und Käuferorganisationen ist dem
Künstler von heute geholfen, sondern mit Be-
schränkung der Massenausstellung, mit Ver-
schärfung des Anspruchs an den Künstler, mit
der Forderung nach gründlicher, ernster Arbeit.
Die Teilnahmslosigkeit, wie sie heute fast all-
gemein gegenüber der zeitgenössischen Kunst
geübt wird, muß einer strengen, einer kritischen
Teilnahme weichen. Der Maßstab der Quali-
tätsarbeit muß viel kategorischer auch an die
Werke der Kunst angelegt werden. Nur so
wird die sich umschichtende Gesellschaft den
Künstlerstand vor dem Absinken in die Tiefen
des Almosenempfängers bewahren, wird ihn
miteinbeziehen ins organisierte Reich moderner
Arbeit.

Im Grunde bleibt die Rettung des Künstler-
standes Aufgabe des Künstlers selbst. Ab-
stoßung der halben Talente, Vertiefung des ar-
beiterlichen Verantwortungsgefühls, Steigerung
der eigenen Würde durch Schaffung zeilbestän-
diger Werte. Eine jede Zeit beurteilt ihre
Stände nach der Würde, die diese selbst sich
zu erringen wissen................ o s.

*

SPRACHE DER KUNST UND URSYMBOLIK

Kunst hat, jenseits aller erlernbaren Darstell-
ungsweisen, eine Ur-Verständlichkeit. Wo-
her? Doch wohl eben daher, von wo in der
Sprache die sog. onomatopoetische Ur-Ver-
ständlichkeit stammt. Das Wort „gut", das
Wort „schön" hat etwas Behütendes, Um-
schließendes, Mildes; die Worte „schlecht"
oder „häßlich" sind in den Vokalen wie in den
Konsonanten auf Schärfe, auf Stechendes, Un-
wohltätiges, Abschreckendes gestellt. Man soll
gewiß das Prinzip dieser klangsymbolischen
Parallelität nicht überspitzen. Man soll es nicht
tothetzen. Aber wenn z. B. die moderne Theo-
sophie , wenn Ernst Fuhrmann immer wieder
auf diese Lautsymbohk zurückkommen, so sind
sie von Beobachtungen geführt, denen sich nie-
mand ganz entziehen kann.

Die Sprache der Formen in Baukunst, Malerei
und Plastik ist wirkliche „Sprache"; genauer:
sie ist Geberdensprache, d.h. sie übermittelt
geistig-seelische Inhalte durch ursymbolischc,
nicht über das Gelernte laufende Verständigung.
Sie ist Sprache so gut wie die graphologischen
Züge der Schrift-Sprache und jenseits aller
eigentlichen Wortinhalte. Klages hat uns diese
Züge wieder ganz direkt und einfach lesen ge-
lehrt: das Hinab als ein wirkliches Hinab, das
Hinauf als wirklichen Aufschwung, als wirkliche

Erhebung. Genau dasselbe physiognomische
Gesetz, das hier wirkt, das wirkt auch in den
Formen der Kunst. Eine spitzwinklig gebrochene
Linie wird kein gesundes Gefühl als Linie des
Wohltuns oder des Wohlwollens empfinden.
Man kann sagen: die Mitteilung des Eigent-
lichen, d. h. dessen, was der Künstler wirk-
lich als Lebenselement in sich hat, erfolgt viel
mehr auf dem Wege dieser ursymbolischen Ver-
ständigung als auf dem Wege über die mani-
festen Inhalte des Kunstwerks. Gerade wie es
auch die moderne Traumpsychologie ansieht.
Es wird sich oft sogar ergeben, daß die bewuß-
ten, rationalen Inhalte des Kunstwerks jenes
„Eigentliche" eher verschleiern als enthüllen.
Die formsymbolische oder ausdruckssymbolische
Betrachtung aber schließt dieses „Eigentliche"
sicher und zutreffend auf. Sie ist die älteste Art
der Verständigung, die es zwischen Mensch und
Mensch gegeben hat. Sie ist die Grundlage, von
der aus der Mensch seit je, lange vor Gram-
matik und Wörterbuch, Mittel gefunden hat,
dem Nebenmenschen zu sagen: „Ich fürchte
mich vor dir" oder „Ich will dich töten" oder
„Ich bin dir gut" oder „Gib mir zu essen und
zu trinken". Jede Form ist Geberde. Jede
Geberde kommt aus der Seele. Und Seele
ward allem Lebendigen zuteil........ r. l.
 
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