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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Nemitz, Fritz: Zur Krisis des modernen Kunstmarktes
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0304

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ZUR KRISIS DES MODERNEN KUNSTMARKTES

von dr. fritz nemitz

Während der Handel mit alter Kunst, ins-
besondere der Export nach Amerika, in
den Handelsstatistiken eine nicht unerhebliche
Rolle spielt, (der Wert der allein von München
aus nach Amerika ausgeführten über 100 Jahre
alten Kunstwerke betrug 1927 und 1928 je
10 800 000 M) können wir von einem normalen
Absatz moderner Kunst kaum sprechen, weder
auf den Ausstellungen der Künstlerverbände
noch innerhalb des regulären Kunsthandels. Die
Verkaufsergebnisse der Ausstellungen sprechen
seit Jahren eine deutliche Sprache. Der Auf-
wand an Arbeit, Kosten, an oft erheblichen
staatlichen Zuschüssen steht in einem durch
nichts gerechtfertigten Mißverhältnis zu den
praktischen Ergebnissen. Soweit auf Aus-
stellungen Bilder oder Skulpturen verkauft
werden, geschieht es zumeist aus Mitteln der
öffentlichen Hand. Der private Käufer, der
Sammler ist zu einer beinahe mythischen Figur
geworden. Aber auch im regulären Kunsthandel
ist der Absatz gering. Die Zahl der qualitativen
Kunsthändler ist auf wenige zusammenge-
schrumpft. Im ganzen Reich gibt es kaum ein
Dutzend. (In Paris, wo allerdings die Vorbedin-
gungen wie die Preisverhältnisse anders liegen
als bei uns, existiert ein lebhafter Handel mit
moderner Kunst, hauptsächlich in der Form
des Ladengeschäftes.) In Deutschland ist der
Händler selten mehr als ein Kommissionär oder
er vertreibt berühmte Namen.

Als Grund für die Absatzkrise moderner
Kunst hat man wieder und wieder die wirt-
schaftliche Notlage angegeben. Das ist heute
nicht mehr richtig. Abgesehen davon, daß für
alte Kunstwerke und Fälschungen Riesen-
summen ausgegeben werden, hat sich die Um-
schichtung der Vermögen bereits vollzogen. Bei
diesem Prozeß ist die frühere Mittelschicht, die
vornehmlich Träger der Kultur und auch Ab-
nehmer der künstlerischen Produktion war, auf-
gelöst und zerstört worden. Das bedeutet, da
eine neue, kulturell verantwortlich lebende
Mittelschicht erst wieder in der Bildung begriffen
ist, den Ausfall eines wichtigen Faktors, erklärt
aber nicht das Mißverhältnis zwischen Angebot
und Nachfrage. Der entscheidende Grund ist
eher im Psychologischen zu suchen, in den
herrschenden Anschauungen. Diese sind
noch allzuhäufig die der Inflation, d. h. Kunst-

werke werden als Sachwerte, als Aktien ge-
kauft wie Diamanten oder Pelze. Die Folge
dieser Einstellung war eine steigende Nachfrage
nach alter Kunst und, da man die Echtheit
schwarz auf weiß garantiert haben wollte, kam
die Expertise, das Echtheitsattest zu bisher
ungeahnter Bedeutung; es kam so weit, daß
alte Kunst ohne Attest nicht mehr verkauft
werden kann. „Die ,Kunstexpertise' ist eine
Einrichtung, die es dem einsichtigen Kenner
ermöglicht, sich auch über schlechte Kunstwerke
so zu äußern, daß der Sammler zum Ankauf
ermutigt wird" — mit dieser Definition Hans
Wendlands ist alles gesagt, auch der Mißbrauch,
der mit der Expertise gelegentlich getrieben
wird, gekennzeichnet.

Da der spekulative Wert moderner Kunst
nicht festzusetzen ist, da es für sie keine Exper-
tisen gibt, wurde das Interesse für die Kunst
unserer Zeit zurückgedrängt. (Wieviel Geld im
übrigen durch den Erwerb alter Kunst verloren
worden ist und fortgesetzt verloren wird, erfährt
die Öffentlichkeit selten.)

Wenn die Anschauung der Inflationszeit, daß
das Kunstwerk nur Sachwert sei, beseitigt wird,
wenn Bilder und Skulpturen wieder um ihrer
Schönheit willen gekauft werden, wird auch Be-
wegung in den erstarrten Kunstmarkt kommen.
Daneben bedürfen noch andere Fragen, die die
Krise mitbewirkt haben, der Lösung, etwa die
Frage der Preisgestaltung, oder die Frage, auf
welche Weise die in den Inflationsjahren vom
Kunsthandel aufgestapelte Ware, die den Markt
heute noch verstopft, abgestoßen werden soll.
Entscheidend ist aber zunächst, daß die Grund-
einstellung der Zeit zur Kunst unserer Zeit sich
wandelt.

Der Aufschwung des Handels mit alter Kunst
wäre erfreulich, wenn er nicht auf Kosten
der lebenden Generationen geschähe,
wenn nicht die Verantwortung für die eigene
Zeit dadurch verschoben würde. In unserer
Zeit, die sich auf allen Gebieten um neue
Fundamente bemüht, sollte man kein Wort über
Kultur oder Kunst sprechen dürfen, ohne von
den Fragestellungen und Problemen des Heute
und Hier auszugehen. Das bedeutet keine
Absage an die Vergangenheit und Tradition.
Denn Tradition haben heißt nichts anders, als
neue Traditionen schaffen........dr. f. n.


 
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