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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Hofmann, Herbert: Auseinandersetzung mit George Grosz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0368

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AUSEINANDERSETZUNG MIT GEORGE GROSZ

VON DR. HERBERT HOFMANN

George Grosz war der Beschimpfung kirch-
licher Einrichtungen und der Gottes-
lästerung angeklagt. Sein „Christus mit der Gas-
maske" hatte das religiöseEmpfinden zahlreicher
seiner Mitmenschen aufs tiefste verletzt. Ver-
treter der Kunst und der Kirche nahmen zu den
künstlerischen und weltanschaulichen Gehalten
seines Schaffens mit der Subjektivität Stellung,
die solchen Gutachten — natürlicherweise —
eigen ist. Grosz wurde freigesprochen. Man hat
entschieden, daß man ihm das Recht nicht neh-
men dürfe, den Zwiespalt zwischen militaristi-
scher Agitation und der Religion der Liebe
aufzuzeigen. Der Freispruch wurde teils mit Ge-
nugtuung, teils mit Empörung aufgenommen.

Versucht man, George Grosz, einmal un-
politisch zu sehen, nicht die Moral, sondern
den Grad und die schöpferischen Fähigkeiten
seiner Leidenschaft zu erkennen, so ergibt sich:
George Grosz ist ein besessener Literat, ein
außergewöhnlicher tiefspürender, aber einsei-
tiger Psychopatholog, ein dichterisch begabter
Kritiker seiner Zeit. Darüber hinaus ist er ein
großer Zeichner, ein Meister der Form.

Daß er es zuweilen selbst abgelehnt hat, ein
Künstler zu sein, weil er nur „Kämpfer" sein
wolle, vermag die Notwendigkeit nicht zu wider-
legen, seine Erscheinung unter künstlerischen
Gesichtspunkten zu betrachten.

Das Werk von George Grosz wuchs ganz aus
einer großen literarischen Leidenschaft und
schuf dieser die gemäße, aktivistische Form.
Beginnend mit futuristischen Phantasien, die
Lächerlichkeit des Dadaismus nicht meidend
und schließlich in eine primitive, beinahe infan-
tile Ausdrucksform einmündend, die an geistiger
Intensität den Mitteln der Sprache weit über-
legen ist, blieb diese Form bis heute Einkleidung,
sinnfällige Deutung des Inhalts, der außerkünst-
lerischen Idee. Das Stoffliche triumphiert. Es
ist die Stärke, die Lust dieses Schaffens. Es ist
aber auch seine Grenze. George Grosz ist nicht
der einzige seiner Generation, der mit ätzen-
dem Zynismus auf seine Zeit reagierte. Nur ist
er allein von allen innerhalb seiner geistigen
Peripherie gleichsam „klassisch" geworden.

Man muß alle Stoffkreise von Grosz ein-
fangen, von der politischen Satire bis zum
sexualpsychologischen Pamphlet, um einen voll-
ständigen Eindruck seiner Mentalität zu gewin-
nen. Und man wird nicht mehr im Zweifel blei-
ben, daß George Grosz über seine kritisierende,

literarisierende Leidenschaft nicht hinausge-
wachsen ist. Um ein großer Spötter, etwa im
Sinne Daumiers, zu sein, ist er zu verbohrt, zu
fanatisch, zu feindselig; ist er selbst zu stark
Exponent seiner Welten. Er belastet, quält,
erschreckt, statt zu befreien. Sein Psychologis-
mus ist zu fratzenhaft, zu hypernaturalistisch,
zu lustgesättigt, zu engstirnig, um als allgemein-
gültige Wahrheit zu wirken. Die Unmittelbar-
keit der geistigen Tendenz wird offenbar und ihre
Wirkung schlägt ins Gegenteil um: die Reihung
artgleicher Motive Jahre hindurch schwächt ihre
Schlagkraft, verblaßt ihre Ursprünglichkeit, para-
lysiert ihre Moral. Am Ende bleibt nichts als
eine in sich erstickte Leidenschaft.

Es soll hier — da wir ja George Grosz un-
politisch sehen wollen — nicht darüber gerech-
tet werden, inwieweit er wahre Dinge aus-
spricht. Das Leben ist absurd und reichgestaltig
genug, um keine Unmöglichkeit unmöglich er-
scheinen zu lassen. Auch George Grosz geht
es letzten Endes um das Menschliche. Nur ist
sein sittlicher Standpunkt falsch gewählt. Der
radikalistische Grundzug seiner „Sittenschil-
derungen" wird ihn immer in die politischen
und gesellschaftsmoralischen Ereignisse dieser
Zeit einspannen. Ein Schaffen, das sich in sich
selbst zu erschöpfen droht.

Jenseits solcher Bedingtheiten erweist sich
George Grosz als ein bedeutender Darsteller
und Gestalter. Er sieht hinter die Dinge und
durch sie hindurch. Er legt geheime Gedanken
und Triebe bloß, schöpft Vorgänge aus den
schwelenden Tiefen des Unterbewußtseins,
durchleuchtet Gehirne und Körper und ent-
kleidet pervertiertes Leben. Er macht Raum und
Atmosphäre fühlbar, daß man sie schmeckt und
riecht; er beschwört Geilheit, Brunst, Schwüle,
schleichendes Gift, lauerndes Verbrechen als
räumliches Erlebnis von alpdruckhafter Unmit-
telbarkeit. Hierin ist er ein Dichter.

Und der Künstler?

Ein Maler ist George Grosz nicht. Seine
Gemälde sind Zeichnungen mit reicheren, nüan-
cierteren Mitteln. Virtuos durchgebildet, tech-
nisch raffiniert. Aber ohne autonome Gestal-
tungskraft der Farbe. Einzelne Perioden wer-
den erkennbar: am eindrücklichsten die Zeit
um 1926 mitihren das ganze Bildgefüge erregend
überschimmernden grünlich - rötlichen Tönen;
sie sind rhythmisch gestimmt, motivisch gebun-
den und zur Einheit geschlossen. Jüngere Stil-
 
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