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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Hofmann, Herbert: Auseinandersetzung mit George Grosz
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Michel, Wilhelm: Wunsch an die Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0372

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Auseinandersetzung mit George Grosz

leben lassen ebensowenig wie die ganz graphisch eingeschlossene, aus dem Nichts ausgeschnittene

aufgefaßten Bildnisse über das unmalerische Masse. Dennoch ist sie als graphisches Element

Wesen dieser Malerei im Zweifel. von ungeheurer Wucht und Geladenheit. In

Ungleich größer ist der Zeichner George ihrer Struktur, in ihrem scheinbar kindlichen

Grosz. Seine Linie besitzt zwar nicht die Be- Duktus gleichnishaft und eindringlich. Und ein-

seeltheit und verinnerlichte Gelöstheit wie bei mal, an einer versteckten Stelle in einer Zeich-

Daumier, Slevogt, Stein oder Kubin; sie ist nung „Sonntagnachmittag", die ich sah, wurde

härter, herber, geschlossener; sie ist überhaupt sie auch souverän, begann sie zu atmen, stär-

mehr Umriß, mehr Körper- und Raumabschluß ker von innen her durchströmt zu werden: es

als Eigenwesen. Sie wirkt nicht so sehr durch waren zwei Arme, die fast nicht von Grosz zu

selbständigen Ausdruck als durch die von ihr sein schienen..................dr. h. h.

WUNSCH AN DIE MALER

Die Maler müßten die Frage, weshalb sie
überhaupt bilden und darstellen, neu an
sich richten lernen. In der Umgangssprache sind
wir leider längst übereingekommen, nie von
dem zu reden, was uns wirklich interessiert.
Auch unsere Kunst ist vielfach Umgangssprache
dieser Art geworden: unpersönlich, auch wenn
sie sehr persönlich aussieht, realitätslos, auch
wenn sie sich höchst realistisch und bestimmt gibt.

Rührt man diesen Gegenstand an, so darf
man sich nicht einbilden, von einer begrenzten
Sache zu sprechen. Man spricht von der ganzen
Kulturkrise. Man spricht davon, daß der Kunst
die Eingefügtheit in das wirkliche Leben und
damit die Realbedeutung verlorengegangen ist.
Von der Seite des Publikums sieht das so aus,
daß es sich lieber an den wirklichen Apfel hält
statt an das Apfelstilleben, an die wirkliche Reise,
statt aus Reisebild, an das Sonnenbad oder
die Paddeltour, statt an gedeutete, betrachtete,
reflektierte Landschaft. Wirklichkeitshunger
also, dessen tieferer Grund nicht den Künst-
lern zur Last fällt, sondern in einem Schwach-
werden geistiger Lebensverbände liegt.

Kein Zweifel: diese Lage wird sich lösen.
Wir wachsen in eine veränderte Welt hinein.
Die Krise der Kunst ist kein Ende, sondern ein
Übergang. Eine kleine Drehung des Blicks —
und wir sehen in der Technik, in der mächtig
ausgreifenden Forschung, in den Menschen-
typen unserer Tage neue Bildungen heranreifen,
die ein Gepräge von Kraft tragen, wenn wir
ihren Sinn auch noch nicht völlig durchschauen.

Inzwischen kann aber, wie gesagt, das Eine
geschehen, daß die Künstler die Frage, weshalb
sie denn bilden und schildern, auf eine neue,
dringlichere Weise an sich stellen lernen. Wenn
es Wirklichkeitshunger ist, der die Gegenwart
beherrscht, dann kann heute nur der Gehör
fordern, der von Wirklichem spricht. Dinge ab-
malen, zu denen man keine Beziehung hat, und
sie so abmalen, daß die eigene Existenz, der

eigene Lebensgrund nirgends ins Spiel tritt —
was ist das für eine Tätigkeit ? Jeder lebt doch
insgeheim von etwas, jeder bringt aus seiner
Jugend Träume mit, gute oder böse, jeder hat
Dinge und Gedanken, die ihn besonders an-
gehen. Warum redet er nicht lieber von diesen,
statt in das allgemeine gemalte Gerede, das
keinen mehr interessiert, mit einzustimmen?

Wir sehen heute im Bild lieber das Wort
einer echten Problematik als eine beliebige
Schönrednerei; lieber eine turbulente Freude
als eine unerlebte und ungefühlte Ordnung. Am
höchsten steht es natürlich, wenn einer die
Liebe, die Jugend, das große Naturleben als
eine Wirklichkeit in sich erfährt — denn die
Sonne geht in der Tat noch jeden Morgen auf,
und an den Bäumen reifen jedes Jahr die Früchte,
die den Kindern und den Frohen allen gegönnt
sind. Und kann einer die Sonne nicht mehr
sehen, so male er das Andere, wovon er lebt
und worin er lebt. Da ist der Künstler an
seinem rechten Ort, wo er ins Leben der Mit-
menschen etwas hineinstiftet, das ihnen Mut gibt
und sie vorwärtstreibt. Das direkte inhaltliche
Sprechen, die Aussage aus der eigenen Lebens-
wirklichkeit heraus — das ist es, was in der
heutigen Lage von der Kunst geleistet werden
sollte. Und ich meine dies beileibe nicht im
Sinne einer engen Subjektivität, sondern die
Sache ist im Gegenteil so zu denken, daß dieses
Hineingreifen in die eigene Lebenswirklichkeit
auf Gesetzliches, Breiteres, Allgemeingültigeres
und damit Objektiveres führen soll.

Der Künstler sollte heute nur dann sprechen,
wenn ihm unzweideutig das Stichwort gegeben
ist; nur da, wo er liebt und brennt; nur von
dem, was ihn angeht; nur auf Grund von
Lebenszusammenhängen. Man kann ihm dafür
freilich nicht den sofortigen Lohn in Lorbeer
oder klingender Münze versprechen. Wohl aber
ein Eintreten der Kunst in ein echteres Dasein,
mit neuen Freunden und Feinden, wilh. michel.
 
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