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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 68.1931

DOI Artikel:
Secker, Hans Friedrich: Camille Bombois - Paris
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Michel, Wilhelm: Wandlung, nicht Untergang
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https://doi.org/10.11588/diglit.9248#0162

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Camille Bombois-Paris

weglichen Figuren der Wäscherinnen zu der
f estumrissenen Gestalt des träumend im Nachen
sitzenden Mädchens entwickelt hat, und man
wird sich klär über den weiten Weg, den der
Künstler in wenigen Jahren durchschritten hat.
Es ist der Weg von einer naturschwärmenden
zu einer formgestaltenden Romantik.

Mit einem von Bombois' besten pariser Stadt-
bildern mag dieser Hinweis schließen. Der Zau-
ber von „Sacre Coeur" (Abb. S. 142) liegt
wahrlich nicht in der Architektur dieser Be-
krönung von Montmartre, die zu den anfecht-
barsten Beispielen neuerer Baukunst zählt. Die
Luft von Paris, diese schmeichlerische, bestrik-
kende Atmosphäre, die sogar den Kitsch er-
träglich macht und selbst Schmutz und Ver-
wahrlosung, Schamlosigkeit und Verbrechen mit
dem versöhnlichen Schleier des unbeschreiblich
Malerischen umhüllt, erhebt auch diese Basi-
lika zu einer triumphierenden Schönheit. Bom-
bois wählte seinen Standpunkt im westlichen
Teil der Rue du Chevalier de la Barre und ge-
wann durch die sich hier ergebenden Über-
schneidungen mit den südlichen Häuserfronten
einen überaus eindrucksvollen Blick auf die
mächtige Kuppel der Kirche, die mit zarten lila
Schattierungen wie ein Hauch im silberblauen
Äther verschwebt. Kein Lichtbild vermag den
diskreten Reichtum an Farben wiederzugeben.
Schon das graue Straßenpflaster mit dem weißen
Wasser, das durch die Rinne rieselt, ist meister-

haft getroffen. Die linke Häuserwand in ihrer
jähen Verkürzung ist harmonisch unterbrochen
von dem flammenden Smaragdgrün u. Zinnober-
rot der Holzverkleidungen, mit denen die Fran-
zosen so gern und anmutig ihre kleinen Läden
und Restaurants schmücken. Gegenüber leuch-
ten ähnliche Verschalungen in Ultramarin und
Blutrot aus der Flucht der Fassaden, in deren
Anstrich ein weicher Ockerton überwiegt. Un-
nachahmlich kühl wirkt der Schatten eines
Dachs auf der mattgelben Giebelwand des
zweiten Hauses, und eine graue Regentraufe
durchzittert diese Fläche in steiler Schräge.
Wie schließlich rechts am Straßenende unter
dem frischen Grün der Bäume noch einmal das
sonore Dunkelgrün eines verschlossenen Bücher-
ladens aufklingt, das gibt dem stillen Raum der
Gasse einen letzten Wohllaut, bevor das orien-
talische Märchen von Sacre Coeur aus dem
Boden wächst. Hier versagen alle beschreiben-
den Worte. Maurice Utrillo ist in gesegneten
Augenblicken dem Charme alter Gassen kraft-
voll nahegekommen. Gelegentlich. Das letzte
Gefühl der Fingerspitzen, mit dem der athletische
Bombois das traumhafte Milieu vom Montmartre
und seiner seltsamen Kathedrale schildert, hat
der kränkliche Utrillo nie erreicht. Dieses feinste
Verstehen blieb den urgesunden Nerven eines
Bombois vorbehalten, der ohne Vorbildung und
ohne irgendwelche Hemmungen malt, ehrlich
und einfach malt wie ein geniales Kind. h. f. s.

WANDLUNG, NICHT UNTERGANG

Man spricht heute zweiflerisch von der Kunst.
Manche sehen gar ihren Tod voraus, halten
sie für überwunden, weil auf einigen Gebieten
— z. B. im Staffeleibild, in der Bauplastik, in
der lyrischen Dichtung — das Wort der Kunst
nicht mehr so frei und leicht ergeht wie vor-
dem. Aber es unterläuft hier nur der alte Irr-
tum, der den Blick der Menschen so oft beengt
hat: man hält für Tod, was Wandlung ist, man
stellt einen Umbruch unter die apokalyptische
Perspektive und sieht Ende des Ganzen, wo
nur in Teilen eine Problematik ausbricht.

Was die Kunst angeht: sie ist heute noch nicht
gestorben und wird auch morgen nicht sterben.
Aber die Mittel, die Stoffe, in denen sie arbeitet,
unterstehen dem geschichtlichen Wandel. Im
alten Hellas hat die plastische Äußerung den
Vorrang vor der malerischen, bei den Byzan-
tinern erhält wieder die malerisch-musivische
Darstellung den Wertakzent. In der Gotik trägt
die Skulptur (in der nordisch-christlichen Prä-

gung) den Zeitausdruck zu wesentlichen Teilen,
die Freskomalerei macht im Lauf der Jahr-
hunderte Perioden sehr verschiedener Geltung
durch. Lyrische Zeitalter wechseln mit epischen,
dramatische mit idyllischen ab. Sollten wir heute
vor ähnlichen Verschiebungen stehen, was be-
rechtigt uns, dabei vom Tod der Kunst zu
reden? Wer darf behaupten, das Leben der
Kunst sei an die gestrige Geltung des Staffe-
leibildes gebunden? Oder an die bisherige
Zusammenwirkung zwischen Architektur und
Plastik, Wand und Bild? Gerade die Proble-
matik, die heute auf einigen Kunstgebieten ge-
geben ist, läßt das Ewige der Zusammenge-
hörigkeit von Mensch und Kunst desto strah-
lender hervortreten. Das Wort der Kunst mag
heute genötigt sein, sich zum Teil neue Voka-
beln zu suchen, aber verstummen wird es nie,
weil es letzten Endes das eigentliche Men-
schenwort ist und nur mit dem menschlichen
„Sprechen" überhaupt aufhören kann. . w. m.

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