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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 68.1931

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Schürer, Oskar: Unentbehrlichkeit der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9248#0201

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UNENTBEHRLICHKEIT DER KUNST

von dr. oskar schurer

Friedrich Nietzsche schreibt einmal (in: Rieh. eine gleichzeitige Kunst jemals genug ihrer eige-
Wagner in Bayreuth): ,,. . . darin liegt die nen Zeit verfallen sein? Soll sie nicht deren
Größe und Unentbehrlichkeit der Kunst, daß Sinn aussagen! Und ist das nicht nur möglich
sie den Schein einer einfacheren Welt, einer in restloser Angleichung ihrer Ziele an deren
kürzeren Lösung des Lebensrätsels erregt. Nie- Wollen und Müssen? Gewiß und sicherlich,
mand, der am Leben leidet, kann diesen Schein Aus ihrer eigenen Umzeit soll eine kraftvolle
entbehren, wie niemand des Schlafs entbehren Kunst sich speisen. Eine jede noch tat es. Aber
kann. Je schwieriger die Erkenntnis von den aus ihren positiven Inhalten! Heute scheinen
Gesetzen des Lebens wird, umso inbrünstiger die zersetzenden und zersplitternden Kräfte
begehren wir nach dem Scheine jener Verein- allzu unmittelbar in die Kunst übergegangen zu
fachung, wenn auch nur für Augenblicke; umso sein. Vieles aus der heutigen Kunst ist nur
größer wird die Spannung zwischen der allge- Spiegel, nicht Gegenbild der Zeit. Und Gegen-
meinen Erkenntnis der Dinge und dem geistig- bild soll doch eine Kunst sein, die „den Schein
sittlichen Vermögen des einzelnen. Damit der jener Vereinfachung" uns bieten soll, deren

Bogen nicht breche, ist die Kunst da....." Wirklichkeit das erkennende Auge nicht mehr

Wir wollen hier nicht in die verwickelten wahrnehmen kann. Unsere Kunst jagt selbst
Fragen der Nietzsche'schen Kunstphilosophie den Teilfragen des Tages nach, statt sich aufs
eindringen, wollen nur diese eine Aussage fest- bindende Gesetz der Zeit zu besinnen. „Die
halten und ihre wie eines jeden echten Wortes allgemeine Erkenntnis der Dinge", zumindest
große Aktualität feststellen. Die Erkenntnis von ein allgemeines Erkennenwollen der Dinge hat
den Gesetzen des Lebens scheint tatsächlich auch sie ergriffen und damit auch die tiefe Be-
immer schwieriger zu werden, jemehr Erkennt- unruhigung, der Fragmentcharakter, das Ex-
nismittel die fortschreitende Bewußtwerdung periment—, statt daß sie Binderin und Gestal-
des menschlichen Geistes uns auch zu bieten terin der großen Zusammenhänge hätte bleiben
scheint. Während kühne geistige Theorien den dürfen. Wir reden hier vom Durchschnitt des
Kosmos immer lückenloser zu erklären, d. h. zu heutigen Schaffens, nicht von den Spitzen-
bewältigen scheinen, klaffen die Ansprüche des leistungen. Die ruhen ja auch heute in jener
praktischen Lebens immer weiter auseinander. großen Selbstverständlichkeit autonomer Schöp-
In Fragmenten nur vermögen wir es noch zu ferkraft und wurzeln in jenen sehr einfachen
packen, und glücklich nur der, welcher das elementaren Gefühlen, die unser Leben, auch
Stückwerkhafte seines Lebensanteils nicht das zersplitterte dieser Tage, im Grunde zu-
durchschaut. Der Erkennende müßte sich nach sammenhalten. Zu diesen einfachen Grund-
Nietzsches Worten heute mehr denn je nach fragen müßte auch der Durchschnitt der Bil-
Kunst sehnen. Daß die Zeit im großen Durch- denden wieder hinuntersteigen, um die „Ge-
schnitt diese Sehnsucht heute nicht verspürt, bildeten" zurückzuholen zum Quell des Lebens,
spricht noch keineswegs gegen die Richtigkeit Er müßte Zeiterscheinung und Zeitgrund wieder
der Nietzsche'schen Gedanken. Nietzsche würde besser unterscheiden lernen. Das „Zeitgemäße"
sagen: es spricht nur gegen die Zeit. Aber wenn wird ganz von selbst sich einstellen, wo ein
man sich auch zuletzt zur gleichen Ansicht be- lebendiger Geist den Urgrund berührt. Denn
kennt, so doch nur nach Überdenken all der schließlich ist es ja doch auch wieder die Zeit,
Fragen, die heute eine vorbehaltlose Kunst- das Gegenwärtige, das ihm diese Berührung
Sehnsucht zweifelhaft machen. Die Kunst aller- vermittelt. Eine so genährte Kunst vermöchte
dings, nach der man sich sehnt, scheint heute dann auch wieder unsere Sehnsucht zu stillen,
ebenfalls schwieriger als je zu gedeihen. Von vermöchte jener wichtigen Funktion gerecht zu
sich aus vermag sie die zweifelnde Zeit kaum werden, die Nietzsche ihr zuteilt: den Schein
zu sich zu bekehren. Und es ist nicht nur der einer kürzeren Lösung des Lebens-Rätsels zu

Zweifel der Zeit an ihrer Mächtigkeit, an ihrer erregen....................... o. s.

Existenznotwendigkeit, die ihr die nötige Kraft- *

zufuhr versagt. Sie selbst ist der Zeit allzusehr TT 7erdasSchöneunddasGutemitinnigerLiebe

verfallen, als daß sie wirkliche Kunst in dem VV in sich festhält, der erlangt immer doch

von Nietzsche und von unserer aller Sehnsucht einenschönenPunkt. Kindermüssenwirwerden,

gemeinten Sinn sein könnte. Wie das? Kann wenn wir das Beste erreichen wollen, ph.runge.
 
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