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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 68.1931

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Keil, Hermann: Sehbild und Schaubild
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https://doi.org/10.11588/diglit.9248#0235

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SEHBILD UND SCHAUBILD

VON HERMAN KEIL

Das optische Sehen und das geistige
Schauen mischen sich im künstlerischen
Gestaltungsprozeß, aber selten zu gleichen
Teilen. Zumeist überwiegt die eine dieser Kom-
ponenten, was zwingend das Kunstwerk ent-
weder in die Reihe der naturnahen, rationa-
listisch aufgefaßten Schöpfungen oder in jene
der imaginativen und vorstellungsnahen stellt.

Für den materialistisch eingestellten Künstler
hat das Netzhauterlebnis entscheidende Be-
deutung: die im Objekt begründeten Färb- und
Form-Vorstellungen sind es, die das Bild be-
stimmen. Sie wirken im Verlauf der Gestaltung
verpflichtend auf deren Resultat. An ihnen orien-
tiert der Künstler die verschiedenen Etappen
seines Bildschaffens derart, daß ihm das Objekt
ebensosehr Anreiz wie Kontrolle darstellt.
Jede Umwandlung, im Sinne der Übersetzung
optischer Anregungen, erfolgt als Auswirkung
des inneren Klanges, der künstlerischen Grund-
disposition im seelischen Bezirk. Dieser innere
Klang wirkt gegenüber der Welt der Objekte
etwa derart wie der farbige Glasscherben vor

den Augen der Kinder: er biegt das Farbliche
und Formale um, stellt sich zwischen diese und
das Werk als Medium.

Der rationell eingestellte Künstler wird sich
der Macht des Sehbildes nicht entziehen können.
Die Wirklichkeit liefert ihm — trotz aller ihr
anhaftenden Unvollkommenheiten im Sinne des
Künstlerischen — die direkten Möglichkeiten
des Vollkommenen. Im geformten Werk stellt die
Heraushebung der Elemente des Vorbildes, die
den Kontakt bestimmten, jenes als einNeues dem
Sehbild gegenüber. Es entspricht dem Persön-
lichsten des Künstlers, grade durch dieses (und
kein anderes) Sehbild angerührt zu wefden und
es im Schaffen in einen künstlerischen Aspekt
zu transformieren. Die Stärke der Umbildung,
die im Farblichen oder Formalen — oder gleich-
zeitig in beiden — liegen kann, ist identisch
mit der Macht des Schaubildes, der parallel
zum Sehbild entstandenen Projektion auf dem
geistig-künstlerischen Plan.

Diese Projektion als Abbild kann sich bei
besonderer Beschaffenheit des Planes von dem
 
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