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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 68.1931

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Sutter, Otto Ernst: Lobpreis des Zeichnens
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https://doi.org/10.11588/diglit.9248#0368

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JOSEF HENSELMANN—FLORENZ PLASTIK »BRUNNEN-GRUPPE«

LOBPREIS DES ZEICHNENS

Für Stunden, die einen entspannen sollen, gibt Hingabe aufzuzeichnen, der weiß um das Wesen

es keine unterhaltendere Beschäftigung, als einer Landschaft nur unvolkommen Bescheid,

zu zeichnen. Der Versuch, Dinge um einen her, Aufbau eines Stückes Erde, das Wachstum

ein Fenster mit Blumen auf dem Sims, ein zu- auf ihm, seine Sichtbarkeit in der Luft, seine

fällig auf dem Tische stehendes Gefäß, einen Beziehungen zum Horizont — alles das kann

Baum, ein Blatt, eine Landschaft, einen Straßen- nur begreifen — wobei es um den eigent-

zug, einen Kirchturm auf dem Papier festzu- liehen Sinn des Wortstammes „Greifen" geht

halten, vermag die erregtesten Nerven zu be- — wer den Linien jener Erscheinungen mit

ruhigen, sofern es dem Zeichnenden nur ernst offenem Auge nachgegangen ist und sie mit dem

damit ist, nach bestem Können darzustellen, Stift festzuhalten suchte.

was er skizzieren möchte. Man hört nicht selten Ein Baumschlag z. B. mit weichen Schatten
jemand sagen, er könne nicht zeichnen, weil er und spielerischen Lichtreflexen, der einem ge-
keinerlei Talent dazu besitze — nun, die wohl- glückt ist, vermag mit beispiellos freudiger Ge-
tuende Wirkung des Hantierens mit dem Blei- nugtuung zu erfüllen. Es ist nicht nur das ge-
stift ist unabhängig vom künstlerischen Wert konnte Blatt, das dem eigenen Können Ehre
der werdenden oder hervorgebrachten zeichne- macht — viel stärker bewegt das Bewußtsein,
rischen Leistungen. Wie viele Menschen musi- daß man einen Baum mit Laubwerk, Zweigen,
zieren ja auch, ohne aus rein künstlerischen Ästen in seiner barocken Schönheit erlebt hat.
Gründen dazu berufen zu sein! . . . . Das Wei- Gerade das Zeichnen vermittelt das Erlebnis
terspinnen dieses Vergleichs mag dem Leser einer in sich geschlossenen Welt noch stärker
selbst überlassen bleiben. als etwa deren Schilderung in Farben.

Wer niemals sich bemüht hat, die Konturen Ich möchte die Kamera nicht missen; denn

einer Landschaft, so wie sie sich ihm zeigen, mit das Photographieren bereitet mir immer gleich

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