Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 68.1931

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Der Mensch bedarf der Farben-Erlebnisse
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9248#0378

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DER MENSCH BEDARF DER FARBEN-ERLEBNISSE

von wilhelm michel

Bei Goethe steht mehrfach der Gedanke, daß Worten: sie gehen keineswegs bloß das pas-
der Mensch der Farbe bedarf. Das ist sive Empfinden an, sie regen auch die ak-
ein tiefes Wort, dem wir vielleicht erst heute tiven Kräfte an, die für unsre ständige Ausein-
völlig gerecht werden können. Der Mensch andersetzung mit der Welt wichtig sind. Des-
muß Farben-Erlebnisse haben. Warum? Er halb konnte die alte astrologische Anschauung
braucht sie nicht als bloße Annehmlichkeiten, bestimmte Farben mit bestimmten Planeten zu-
sondern geradezu als höhere Lebenserfüllungen, sammenbringen, die ja nach dieser Anschauung
als Lebensreize, als „Übungsfeld" oder sogar Kräfte sind und diese ihre Kraft auch in der
„Übungsgerät" für die zahlreichen verschiede- zugeordneten Farbe mit sich führen. Es ist auch
nen Gemütskräfte, die sein Wesen bilden, kein Zufall, daß bei Erlebensweisen, die die ver-
Farben stehen in geheimnisvoller Beziehung borgenen Seiten unsres Wesens hervorkehren,
zu Lebenstrieben, zu Leidenschaften und see- also z. B. bei Ekstasen und ähnlichen Zustän-
lischen Haltungen, denen sie gleichsam zur den, die Farben eine große, ja beherrschende
„Speise" oder zum „Training" dienen, und wie Rolle spielen; es sind gleichsam die Seelen-
man vom Spiel der Kinder heute weiß, daß regungen selbst, die in ihnen hervortreten,
es die Liebe oder die Tapferkeit oder die List Farbenerlebnisse sind also nicht bloß eine Be-
und alle die vielen Mittel und Kräfte, die im reicherung unserer Empfindungs-Erfahrung. Sie
Leben gebraucht werden, übt, so üben die wirken, wenn auch nur schattenhaft, als fak-
Farbenerlebnisse unablässig den ganzen psy- tische Begebenheiten, in denen sich verborgene
chischen Apparat des Menschen. Mit anderen Kräfte unsres Wesens betätigen und üben. w. m.

WALTER DEPAS-MÜNCHEN. »HELLGRÜNES STILLEBEN MIT VASE«

kunstausstellung münchen 1931. münchener secession

356
 
Annotationen