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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 69.1931-1932

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M., W.: Treue zur Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7203#0269

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261

KURT ROESCH-BERLIN

»STILLEBEN MIT LISCH«

TREUE ZUR KUNST

Kunst führt zu ästhetischem Erleben, aber sie
lebt nicht aus dem ästhetischen Verhalten,
sondern sie lebt aus Inhalt, aus Not und Trieb,
aus Kampf und Schicksal. Mit einem paradoxen
Wort könnte man sagen: nicht das Schöne
ist Stoff der künstlerischen Schönheit, sondern
das Wahre. Bewundern wir in den Museen
und Sammlungen die Madonnen des Mittelalters,
die Altargemälde, so faßt uns unvermutet der
Gedanke an, daß etwas Unziemliches darin liegt,
diese Werke als „Kunstwerke" zu genießen.
Denn sie sind aus ganz anderen Zusammen-
hängen entstanden, nämlich nicht aus „künst-
lerischen", sondern aus religiösen Zusam-
menhängen. Es ist gut, wenn wir uns auf diese
Tatsache heute wieder besinnen. Denn sie führt
uns auf das, was wir der Kunst schuldig sind.
Wir schulden der Kunst Ehrfurcht und Treue
als der großen Ansprecherin unserer Lebens-
wirklichkeiten, als der Tagebuchschreiberin
unsres geistigen Schicksals. Natürlich kommt
diese Treue nur der echten Kunst zu, die
frisch aus dem „Rohstoff" des Wahren ihre
Schönheit zubereitet. Ihr müssen wir die Treue
halten als unsrer Vorkämpferin. Was ihr ge-
schieht, das geschieht uns. Wo sie steht, da
stehen auch wir. Ihre Problematik ist unsre
Problematik. Jede Vorstellung, die darauf hin-

ausläuft, daß die Kunst uns eine schönere Welt
als die wirkliche vorzugaukeln habe, geht hoff-
nungslos in die Irre. Gewiß kann die Kunst
über die platte, alltägliche Wirklichkeit hinaus-
gehen, aber sie geht nie über das Maß des
augenblicklich lebenden Menschen hinaus. Und
zwar ist dies nicht etwa nur das Maß, das die
Menschen dieser Zeit in ihrer Mehrzahl fak-
tisch erfüllen, sondern es geht dabei immer zu-
gleich um jenes Maß, auf das sie als Menschen
dieser Zeit verpflichtet sind, dessen Er-
füllung von ihnen gefordert werden kann. Die
Wirklichkeit, die die Kunst schildert, ist nicht
der Kleinkram des Buchstäblichen, sondern
die geistige Stellung, der Mächtigkeitsgrad des
Menschen. Über diesen kann sie nicht hinaus-
gehen. Sonst würde sie in die Lüge verfallen und
damit aufhören, Kunst zu sein. Wer mit der Kunst
seiner Zeit Fühlung hält, der hält Fühlung mit
der eigentlichen Wirklichkeit, die für ihn ver-
pflichtend ist. Nicht Zeitvertreib, nicht leeres Er-
götzen ist der Kernpunkt der Kunstwirkung, son-
dern fortdauernder Blick auf die geistige Men-
schengestalt, wie sie ihren schweren Weg geht
durch die dunkle Gegenwart, wie sie die An-
feindung aus der Tiefe abwehrt und dem Stern
folgt, der ihre Finsternisse überschwebt! Dem
Stern der höheren Menschenbestimmung, w. M.
 
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