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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

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Kuhn, Alfred: Goethe und die bildende Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0018

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GOETHE UND DIE BILDENDE KUNST

VON ALFRED KUHN

Es wäre Anmaßung, es auch nur zu versuchen,
dem ganzen Entwicklungsprozeß gerecht zu
werden, der sich mit den Worten zusammen-
fassen läßt: Goethe und die bildende Kunst,
Man müßte ein Buch darüber schreiben; denn
in der sich wandelnden Stellung des großen
Weimaraners zur alten und neueren Kunst
spiegelt sich sein Leben mit allen seinen Er-
fahrungen.

Auch das Gebiet der eigenen künstlerischen
Betätigung darf an dieser Stelle ruhig übergan-
gen werden, denn es ist verhältnismäßig un-
bedeutend für die Frage selbst. Seine Praxis
ging nicht sehr weit über jene eines kultivier-
ten Dilettantismus hinaus, den die meisten Zeit-
genossen von Rang und Bildung geübt haben.

Goethe ist aufgewachsen in einem Kreise, der
die unter niederländischem Einfluß stehende
rheinisch-mainische Lokalmalerei hochschätzte:
die Landschaften von Schütz, die Blumen- und
Fruchtstücke von Junker, die rembrandtisieren-
den religiösen Darstellungen von Trautmann
und die graziösen Rokokotapeten von Seekatz.
Er hat nur wenig auf ihn gewirkt.

Weit wichtiger war für den jungen Dichter
das Zusammentreffen mit Öser in den Leipziger
Studienjahren, der ihn in die Welt Winkelmanns
einführte. „Das allgemein vorzügliche Kenn-
zeichen der griechischen Meisterstücke ist eine
edle Einfalt und eine stille Größe, sowohl in
der Stellung, als im Ausdruck. So wie die Tiefe
des Meeres allzeit ruhig bleibt, die Oberfläche
mag noch so wüten, ebenso zeiget der Ausdruck
in den Figuren der Griechen bei allen Leiden-
schaften eine große und gesetzte Seele." Dieses
Bekenntnis Winkelmanns hat auf Goethe den
tiefsten Eindruck gemacht, es hat ihn Welt und
Kunst mit neuen Augen sehen gelehrt und ist
letzten Endes bis in das späte Alter für ihn be-
stimmend geblieben. Öser war kein starkes Ta-
lent, aber er war ein gebildeter Mann von lehr-
haftem Charakter, und das war es, was Goethe
eben brauchte.

Trotzdem bleibt eine gewisse Vorliebe für
die Niederländer bestehen, die Winkelmann
„Affen der gemeinen Natur" nennt. Als Goethe
1767 nach Dresden kam, um die Galerie zu stu-
dieren, da wollte er keine Antiken mehr sehen,
fühlte sich zu den Niederländern hingezogen und
glaubte in der Werkstatt des biederen Schusters,
bei dem er Quartier genommen, Schalkensche
Lichteffekte wiederzufinden. Goethe begann
sich vom „Allgemeinen" wegzuentwickeln.

So war er bis zu einem gewissen Grade vor-

bereitet, als er mit Herder 1770 in Straßburg
zusammentraf, der seit Jahren gegen alles Un-
originale, Abgeleitete, Abgelebte aufgetreten,
dem die Literatur der Corneille und Racine mit
ihren drei Einheiten „ein gleißendes, klassisches
Ding", „ein Gemälde der Empfindungen von
dritter Hand" gewesen, und der auf Shake-
speare und Luther hingewiesen, besonders auf
den letzteren, der die deutsche Sprache „einen
schlafenden Riesen, aufgeweckt und losgebun-
den" nannte.

Lange schon hatte die Herdersche Denkart
auf Goethe gewirkt, der die ersten Akte seines
Faust in der Tasche trug, als ihm in Straß-
burg als gewaltiges Denkmal der neuentdeckten
Deutschheit, das Münster vor die Augen trat.
Damals entstand auch der kleine Aufsatz „Von
deutscher Baukunst", den Herder in ein Sam-
melbändchen aufnahm. „Deutsche" Baukunst
nannte er sie, nicht gotische, für vaterländisch
sollte sie gehalten werden und nicht verglichen
mit der Baukunst der Griechen und Römer,
„weil sie aus einem ganz anderen Prinzip ent-
sprungen sei". Goethe ließ die Antike bestehen,
aber für die Gegenwart wünschte er sie nicht
angewandt, wie es das Zeitalter unter der Füh-
rung Frankreichs tat. „Säule ist mit nichten ein
Bestandteil unserer Wohnungen; sie wider-
spricht vielmehr dem Wesen unserer Gebäude".
Ja, er ging so weit in seinem Begeisterungs-
taumel, die gotische Baukunst als die eigentlich
deutsche zu empfinden, „da der Italiener sich
keiner eigenen rühmen darf, viel weniger der
Franzos". So trat er denn auch für Dürer ein,
den „männlichen Albrecht Dürer", den er den
„geschminkten Puppenmalern der Zeit" höh-
nisch entgegensetzte. An die Stelle des Allge-
meinen ist das Spezielle getreten, an die Stelle
des Absoluten das Nationale, Individuelle. Es
sind die Jahre des Rausches, des Sturms und
Dranges. Sie brausten bald ab.

Schon in der ersten Weimarer Zeit änderte
sich dies, und als der 37jährige 1786 nach Italien
aufbrach, da empfand er „tiefe Stille" als das
Beste für sich. Angekommen auf der Mittags-
höhe des Lebens, strebte Goethe nach geistiger
Beherrschung der Welt, nachdem er sich ihr
bislang gläubig zu eigen gegeben. DasNur-Trieb-
hafte trat zurück, die Bewußtheit erstarkte.
Für das Vegetative trat das Rationale ein.

Gewiß, wäre er ein Mediterrane gewesen,
wäre er „als ein Grieche", wie Schiller ihm in
dem berühmten Briefe schrieb, „ja, nur als ein
Italiener geboren worden", so wäre seine Ent-
 
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