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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

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Gottlieb, Aurelie: Der Maler Elie Lascaux
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S., O.: Entwicklung und Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0130

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nehmen sollte, da mochte er sich von der Ge-
fährtin seiner bösen Tage, der Kunst, nicht mehr
trennen. So ging er denn unter die Maler. Doch
wandte er sich auch jetzt an keine Schule und
schloß sich keiner Richtung an. Nach wie vor
blieb er allein und abseits.

Völlig anachronistisch der allgemeinen Pro-
blemlage nach, und ganz folgerichtig an seiner
persönlichen Situation gemessen, begann jetzt
Lascaux realistische Bildnisse und Landschaften
zu malen; wollte er doch vor allem mit Men-
schen und Dingen wieder Fühlung nehmen und
sich am Wiedersehen freuen. Bald aber fesselt
ihn nicht mehr alles und jedes. Er wählt seine
Motive. Natur, die schon geordnet ist, Alleen,
Beete, konzentrisch verbaute Hügel haben den
Vorzug, wobei er ihre Ordnung noch besonders
unterstreicht. Nach und nach erstarkt dieser
Drang zur Rationalisierung immer mehr. Es
werden Gruppen von Gegenständen so sehr als
eine Form zusammengesehen, daß die Einzel-
dinge, wirklichkeitstreu wie sie dargestellt sind,
doch nur Elemente des übergeordneten Ganzen
zu sein scheinen.

Später wird ihm alles zum Gruppengebilde.
Bäume, Häuser, Brücken, ja auch Blumen und
Meere sind ihm das Nebeneinander von exakt
aneinandergereihten Linien, die die Blätter,
Steine, Wellenkämme bedeuten sollen, aus
denen sie bestehen. Manchmal ergibt das einen
lustigen Wirbel von Strichelchen, eine ver-
spielte und erheiternde Welt. Oft aber geht
von den Landschaftsbildern, die Lascaux streng
konstruiert und bis ins kleinste Detail aus win-
zigen Linien zusammensetzt, dabei aber soviel
Realitätscharakter bewahren läßt, daß sie als
wirkliche Landschaften empfunden werden, eine
Wirkung aus, die an Poe's gruselige Fantasien
erinnert. Den Eindruck steigert noch das kalte
Weiß, in dem diese Bilder durchgehend ge-
halten sind. Und die einsamen hoffmannesken
Gestalten, die der Künstler eiligen Schrittes an

irgendeiner Mauer vorbeihuschend zeigt, als ob
sie aus diesem Kerker der Einförmigkeit fliehen
wollten, machen es ersichtlich, wie sehr es ihm
selbst vor dieser Vision graute, in der die Dinge
in gespensterhaftem Doppelsinn der Wirklich-
keit angehören und gleichzeitig ihr Skelett zur
Schau tragen.

Unentwegt geht aber Lascaux in seinem Ein-
heitsverlangen weiter. Nicht nur, daß er das
ganze Bild lückenlos aus jenen kleinen Strichen
— gleichsam letzten Formatomen — zusammen-
setzt, in die er die Gegenstände erst zerlegt
hat, er vereinheitlicht es jetzt noch auch da-
durch, daß er an den disparatesten Sachen ein
und dieselbe Form aufweist. Die Dinge ver-
lieren dadurch vollends ihren eigenen Sinn, fast
sind sie nicht einmal dem Aussehen nach von
einander geschieden. Der Himmel insbesondere
muß es sich gefallen lassen durch dieses Mittel
mit der Erde in gar nahe Verwandtschaft zu
treten. Die Sonne, die an ihm prangt, sieht
einer der dicken Fettpflanzen zum Verwechseln
ähnlich, die sie gütig bescheint, und die Wolken,
die an ihm ziehen, setzen in Gestalt und Farbe
das irdische Geschehen fort: sie ringeln sich
wie Schnecken, winden sich wie Bänder, stufen
sich wie Treppen oder fletschen ihre Zacken
wie die Wellen Lascaux'scher Gewässer, je nach
dem, was sich am Boden unter ihnen befindet.

Es bekommt aber dies Verfahren nicht dem
Himmel und nicht den Bildern. Nur gewaltsam
lassen sich die Dinge zu diesem äußerlichen
Lege- und Analogiespiel gebrauchen und die
gewonnene Wirkung geht über das Dekorative
nicht hinaus. Die menschliche Gestalt gar ist
dieser Behandlung völlig unzugänglich. Sie bildet
für Lascaux's jetziges Schaffen eine Verlegen-
heit und dürfte wohl der Ansatzpunkt einer
Umkehr werden. In der Tat, nur selten tritt die
Problematik der jüngsten Epoche so scharf in
Erscheinung wie in den unkomplizierten Werken
dieses empfindsamen Außenseiters......A. O.

ENTWICKLUNG UND WERK

Ein junger Künstler beklagte sich, daß man
bei Beurteilung seiner Arbeiten stets nur
den Maßstab des „fertigen Werkes", nie den
für das jeweilige Stadium seiner Entwicklung
gültigen anwende. Er werde erst sehr spät reifen,
also fertige Werke zustande bringen. Alles, was
er jetzt mache, seien Stationen auf dem Weg
dorthin. Gerade dies Stufenmäßige, dies in-
einer-Entwicklung-Stehen werde nie gesehen,
und somit auch nie ein etwa Sinnvolles dieser
Entwicklung. Das aber sei doch das Wesent-
liche. Das Publikum sei blind dafür. Nur wie-

der ein Künstler vermöge es zu begreifen, zu
spüren. Ein großer und berühmter Künstler
habe denn auch beim Anblick seiner Arbeiten
gesagt: „Bravo, der ist auf dem richtigen Weg,
der wird einmal Kunstwerke schaffen!" und
dies sei das einzige fruchtbare Urteil gewesen,
das ihm je gezollt worden sei.

Wir verstehen den Standpunkt dieses, ja
überhaupt des Künstlers. Er ist von dem im
Schaffen Stehenden aus berechtigt. Und gar so
selten, wie jener meinte, ist ja denn auch die
Beurteilung nach solchem Maßstab gar nicht.
 
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