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Dörpfeld, Wilhelm; Reisch, Emil
Das griechische Theater: Beiträge zur Geschichte des Dionysos-Theaters in Athen und anderer griechischer Theater — Athen, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.5442#0020

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Die Ausgrabung und Erforschung des Theaters.

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dass die Schauspieler oben auf jenem Podium gespielt hätten, sondern es war
auch in allen Lehrbüchern des antiken Theaterwesens zu lesen, dass die gesamte
litterarische Tradition des Altertums den Standort des Schauspielers von demje-
nigen des Chores trenne. Die zweite Möglichkeit, jene Schwierigkeiten zu lösen,
schien also zunächst auch ausgeschlossen.

Erst bei einer genaueren Prüfung der litterarischen Überlieferung drängten
sich mir Zweifel an der Richtigkeit der herrschenden Auffassung auf. Diese
Zweifel wurden bestärkt durch die im Jahre 1884 erschienene wertvolle Dis-
sertation von J. Höpken «De theatro attico saeculi a. Chr. quintb. Der Ver-
fasser hatte sich beim Studium der alten Dramen davon überzeugt, dass Schau-
spieler und Chor im V. Jahrhundert unmöglich so sehr getrennt von einander
gespielt haben könnten, wie dies Vitruv angebe, und stellte deshalb die Hypo-
these auf, dass in der Orchestra ein Gerüst aufgeschlagen worden sei, welches
mit dem Proskenion, das er als Bühne nahm, gleiche Höhe gehabt habe. Chor
und Schauspieler sollten gemeinsam auf diesem Gerüst, also in derselben Höhe
aufgetreten sein. Die Angaben Vitruvs, welche dieser Hypothese widersprachen,
schaffte er ohne Bedenken durch Annahme einer späteren Interpolation aus dem
Wege. So strich er z. B. die bestimmte Angabc, dass das Proskenion 10—12
Fuss hoch sei. War dieses Auskunftsmittel schon aus allgemeinen Gründen be-
denklich, so musste es im besonderen deshalb als ganz unhaltbar bezeichnet
werden, weil Vitruvs Angaben über Höhe und Abmessungen des Proskenion durch
die ausgegrabenen Theater als richtig erwiesen waren. Überhaupt waren alle po-
sitiven Vorschläge Höpkens, soweit sie sich auf das Schauspielhaus bezogen, wenig
glücklich; trotzdem wird ihm das Verdienst bleiben, zuerst den richtigen Ge-
danken öffentlich ausgesprochen und verteidigt zu haben, dass Schauspieler und
Chor im griechischen Theater gewöhnlich in derselben Höhe gespielt haben.

Durch diesen Gedanken glaubte auch ich den schweren und verhängnisvollen
Irrtum in der früheren Behandlung der antiken Theaterkunde gefunden zu haben.
Mir ergab sich aus dem Studium der Theaterruinen eine kreisrunde Orchestra
als Mittelpunkt und Hauptteil des griechischen Theaters. Um diesen Platz herum
sassen auf drei Seiten die Zuschauer, an der vierten befand sich die Skene, nicht
als Bühne mit einer Hinterwand, sondern als ein ursprünglich sehr einfaches Haus
oder Zelt, welches erst in späterer Zeit als festes Gebäude mit einer als Dekora-
tion dienenden Säulenstellung ausgestattet war. Von irgend einem Bühnengerüst,
welches vor der Skene errichtet worden wäre und einen Teil der Orchestra ein-
genommen hätte, fand sich in den Bauwerken nicht die geringste Spur. Alles wies
darauf hin, dass nur auf dem centralen Platze, also vor der Skene und dem
Proskenion gespielt worden sei.

Auch die litterarische Überlieferung sprach hierfür und zeigte sogar, wenn
man von Vitruv absah, eine bemerkenswerte Einstimmigkeit. Vitruv war der ein-
zige, der das Dach des Proskenion als den gewöhnlichen Standplatz der Schau-
spieler bezeichnete, während dies nach den Bauwerken für unmöelich erklart

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