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KUNSTERZIEHUNGSTAG

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unseres Volkslebens als ausgeschlossen anzusehen sei,
wenn nicht die Kunst zu einem wirkenden Faktor darin
ausgebildet würde. Zum ersten Male wurde in Deutsch-
land eine öffentliche Verhandlung grossen Stils über
Kunstfragen geführt, in der die Kunst nicht als die Fach-
angelegenheit und als das Privateigentum eines kleinen
Ringes von Künstlern und Kunstfreunden, sondern als
eine allgemeine lebendige Kraft behandelt und in Be-
ziehung zu unserer wirtschaftlichen, unserer sozialen, unse-
rer ganzen geistigen Existenz gesetzt wurde. Wenn aber
der Kunsterziehungstag in diesem Sinne der Zukunft viel-
leicht in dem Lichte eines geschichtlich bedeutsamen Aus-
gangs- und Wendepunktes erscheinen wird, — für unsere
Gegenwart war er zunächst eine recht herbe und bittere
Lehre. Denn es ist nicht zu leugnen, dass das Ergebnis
der Verhandlungen ziemlich niederschlagend war. Sie
machten den Eindruck, als ob die Tage der babylonischen
Sprachverwirrung zurückgekehrt seien. Alle Liebe zur
Kunst, zum deutschen Volke und zur deutschen Jugend,
die die Erörterungen durchströmte, aller Reichtum an
guten Gedanken und gesunden Anregungen, der von den
Rednern zu Tage gefördert wurde, können die Tatsache
nicht verhüllen, dass man sich in dieser Versammlung
nicht verstand. Man sprach sozusagen aneinander vorbei;
und das Gesamtbild der Verhandlungen ist nicht das
eines Gewebes, an dem Arbeiter von verschiedenen Stellen
aus, jedoch nach gemeinsamem Plane und mit gleichem
Ziele wirken, sondern es ist das eines grossen Chaos von
Anfängen ohne Fortsetzungen und Fortsetzungen ohne
Anfänge, von Antworten auf nicht gestellte Fragen und
Fragen, die ohne Antwort blieben. Dieser Eindruck ist
 
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