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SCH ÖNHEITS-MÖGLICHKEITEN

Roon, offenbar gemacht, zu welcher Fülle von Schön-
heit und Grösse er sich zu steigern vermöge? Noch
heute, da unser Heer bereits die alte preussisch-aristokra-
tische Grundlage verlassen hat und im Begriffe steht,
sich zu einer neuen Bildung zu entwickeln, zehren wir
von dieser Kultur unserer Väter und Grossväter; noch
heute erkennt der Fremde im Offizier die ausgeprägteste
und wirkungsvollste Erscheinung des deutschen Lebens,
bildet die militärische Tracht eines der spärlichen, noch
vorhandenen Elemente einer schönen Kleidung, besitzen
wir im Parademarsch die einzige schöne oder doch cha-
rakteristische Form rhythmischer Bewegung grosser Mas-
sen, über die wir verfügen. Der schöne Mensch ist nicht
etwas Absolutes, sondern etwas Relatives; unerschöpf-
liche Möglichkeiten von Schönheit liegen im Menschen-
geschlechte und jede Kultur ergreift die, die sie zu be-
meistern vermag, arbeitet sie aus und legt sie für alle
Zeit fest. Wenn aber unsere Zeit keine dieser Möglich-
keiten fassen, wenn sie keinen selbständigen Typus des
schönen Menschen schaffen, ja nicht einmal mehr den
schönen vom hässlichen Menschen unterscheiden kann,
so ist dies ein neues Glied in der Kette der Beweise
dafür, dass wir von unserer heutigen Kultur nur als
einer vox neutra, als der Summe unserer Lebensgewohn-
heiten und Errungenschaften, sprechen können, dass sie
aber keine echte, keine lebendige, keine zeugungskräftige
Kultur ist. An dem Tage bricht der Frühling für das
moderne Leben, der Frühling für Deutschland an, an
dem Tage wird eine wahrhaft moderne Kultur geboren,
da uns das Ideal des modernen schönen Menschen, des
deutschen schönen Menschen aufdämmert.
 
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