Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kunstkritik und Kunsttheorie

15

in der geschichtlichen Entwicklung darstellt, so zeigt
sich auch hier, daß beide miteinander eng verknüpft
sind und doch zugleich in Widerspruch zueinander
stehen. Eine Kunsttheorie, die des Akademismus, ist
es gewesen, die der Kunstkritik überhaupt erst den
Boden bereitet hat, auf dem sie entstanden ist. Aber
bald beginnt eine Differenzierung zwischen Kritik
und Theorie einzusetzen, die im 19. Jahrhundert zu
offenem Gegensätze wird. Die Kritik emanzipiert
sich von der Theorie; an der Seite der Künstler
kämpft sie gegen ihren Anspruch auf normative und
autoritative Geltung, und sie strebt (nicht ohne Er-
folg) darnach, ihre Aufgaben, Methoden und Maßstäbe
unabhängig von der Theorie zu bestimmen und aus-
zubilden. Was sie unwiderstehlich in diese Richtung
hineindrängt, ist die Tatsache, daß ihre Stellung inner-
halb des Kunstlebens von völlig anderer Art ist, als
die der Kunsttheorie. Alles Kunstleben baut sich auf
zwei Grundfaktoren und ihrer Wechselwirkung auf:
Künstler und Publikum; und die Kritik entsteht als
das Organ eines dieser beiden Faktoren, als Organ
des Publikums. Die Verhältnisse bringen es mit sich,
daß sie sich zu einer Zwischeninstanz zwischen Künst-
ler und Publikum aus bildet; sie übernimmt die Ver-
mittlung, sie reguliert das Verhältnis zwischen ihnen;
der Künstlerruhm, zum Teil selbst der Kunstmarkt
unterliegt ihrem Einflüsse. Sie ist also nicht nur ein
ästhetisches, sondern auch ein kunstpolitisches, ein
soziales Phänomen, und sie muß ihre Organisation
auf diese Voraussetzungen einstellen. Die Geschichte
der Kunstkritik ist nur im Zusammenhänge der ge-
samten Geschichte des Kunstlebens voll zu verstehen.
Sie wird die Beziehungen der Kritik zur Kunsttheorie
immer scharf im Auge zu halten haben; wenn man
 
Annotationen