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Der Akademismus in Frankreich

bildete sich eine Spannung zwischen der Kunsttheorie
und dem lebendigen Kunstschaffen, das sich an sie
nicht preisgeben konnte noch wollte; der wirkliche
Kunstgeschmack trat in Widerspruch zur offiziellen
Kunstlehre; das Publikum sah sich zur Parteinahme
aufgefordert und griff mit entschiedenen Ansprüchen
in die Diskussion ein. Hiermit ist in Kürze das Ter-
rain bezeichnet, auf dem die Kunstkritik, nachdem in
Italien ihre ersten geistigen Voraussetzungen ausge-
bildet worden waren, sich formieren, zur Wirklichkeit
werden konnte. Indes konnte sich diese Entwicklung
nur allmählich, nur unter langen und scharfen Kämp-
fen zwischen Künstlertum und Laientum durchsetzen.
Das 17. Jahrhundert brachte das Vorspiel dieser
Kämpfe, das 18., das die Organisation der Formen
des modernen Kunstlebens in allen Hauptpunkten
vollendete, die Entscheidung, die nicht für Frank-
reich allein, sondern für die gesamte europäische
Kunstwelt Gültigkeit hatte.
Wenn die in Rom studierenden französischen
Künstler und Kunstfreunde die Verfassung der Kunst
und die Lage der Künstler in Italien mit den Zustän-
den in ihrer Heimat verglichen, so mußte dieser Ver-
gleich wenig zu ihrer Zufriedenheit ausfallen. Denn
noch stand in Frankreich die mittelalterliche Zunft-
verfassung in voller Kraft. Die Pariser Maler und
Bildhauer waren an die Zugehörigkeit zur confrerie
des maitres peintres, sculpteurs, doreurs et vitriers
gebunden, die alle Privilegien und Monopole der
Zunftordnung, insbesondere auch das des Lehrbe-
triebes, besaß. Ihre Organisation ging auf das
14. Jahrhundert zurück, aber noch 1622 und 1639
waren ihre Vorrechte nicht allein bestätigt, sondern
 
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